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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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Linksliberalen zusammensetzte. Gemeinsam mit protestantischen und antisozialdemokratischen Splitterparteien verfügte der »Bülow-Block«, wie man ihn nannte, über 216 der 395 Sitze im Reichstag. 39 Wilhelm begrüßte das Zustandekommen einer »nationalen« Koalition mit einer Mehrheit und freute sich über die Verluste der Sozialdemokraten, die seiner Meinung nach den Anbruch einer vollkommen neuen, prosperierenden Ära signalisierten. 40 Die Tatsache, dass der Wahlkampf einen Anstieg der Zentrumsmandate nicht hatte verhindern können – ein Problem, das später die Bemühungen des Kanzlers, über den »Block« zu regieren, hartnäckig verfolgte -, war ihm offenbar entgangen.

Kanzler Bülow am Ende
     
    Wie wirkten sich diese Entwicklungen auf das Kräfteverhältnis zwischen Kaiser und Kanzler aus? Die Historiker sind sich nicht einig, welche politischen Ziele Bülow während und nach der Krise vom Dezember 1906 wirklich verfolgte. In einer Reihe von Aufsätzen, die in den 1970er und 1980er Jahren erschienen, vertritt Terence Cole die Ansicht, die Auflösung von 1906 markiere »den Anfang von Bülows Kampagne, um die Regierung von Deutschland auf eine neue Basis zu stellen« und damit die politische Autorität des Kaisers zu relativieren. 41 In ihrer einflussreichen Studie der hohen Politik unter der Kanzlerschaft Bülows argumentiert Katharine Lerman hingegen, dass Bülow keinerlei langfristige, politische Ziele verfolgte und von seiner Veranlagung her außerstande war, die Autorität des Kaisers grundsätzlich in Frage zu stellen. 42
    Doch Bülows wahre Ziele in diesem Streit interessieren uns hier nicht weiter; unsere Aufmerksamkeit gilt der tatsächlichen Verteilung des politischen Einflusses zwischen dem Kaiser und seinem unergründlichen Kanzler im Nachspiel der Krise von 1905-1907. Ob Bülow nun eine dauerhafte, konstitutionelle Veränderung des deutschen politischen Systems im Sinn hatte oder nicht – und es spricht kaum etwas für die Annahme, dass er dies wollte – eines ist jedenfalls sicher: Er war weiterhin entschlossen, die eigene Stellung mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu stärken. Während der neue Reichstag sich allmählich konstituierte, schickte der Kanzler sich an, das Ministerium von unzuverlässigen Kandidaten (Studt, Posadowsky) zu säubern – genau wie schon 1901. 43 Zudem ließ sich Bülow auf einen Machtkampf mit dem Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten Tschirschky ein, der bekanntlich die Außenpolitik des Kanzlers kritisierte. 44 Bülow betrachtete den Außensekretär als Günstling des Kaisers, der vor allem die Kontrolle des Kanzlers über die Außenpolitik untergraben sollte. In Wirklichkeit war Tschirschky zwar ein Mann des Kaisers, aber er gehorchte dem Kaiser keineswegs aufs Wort. Es zeigte sich schon bald, dass der Staatssekretär eine politische Unabhängigkeit anstrebte und nicht die Absicht hatte, die Rolle eines »willenlosen Werkzeugs« zu spielen. 45 Im Januar 1907 löste er einen Aufruhr aus, indem er Wilhelm und Bülow erst dann über einen neuen Vertrag mit Dänemark informierte, als er bereits reif zur Unterschrift war. Sechs Monate gab er den Franzosen in einer delikaten Angelegenheit der diplomatischen Vertretung Zusagen, ohne sich zuvor mit dem Kaiser oder dem Kanzler abzusprechen – dieser Alleingang sollte seiner Stellung beim Kaiser nachhaltig schaden. 46 Wie so oft in der Vergangenheit zog die kaiserliche Günstlingswirtschaft einmal mehr keine echte Machtverschiebung zugunsten des Kaisers nach sich. Bülow hatte keine Schwierigkeiten, Tschirschky aus dem Amt zu verdrängen und ihn im Herbst 1907 an die deutsche Botschaft in Wien zu versetzen.
    Allerdings kann man nicht behaupten, dass es Bülow gelang, die relativ unabhängige Stellung innerhalb der Exekutive wiederherzustellen, die er in den ersten Jahren seiner Amtszeit gehabt hatte. Nach den schädlichen Auseinandersetzungen von 1905/06 war seine Entschlossenheit, einen direkten Konflikt mit dem Kaiser zu vermeiden, größer als je zuvor und seine Handlungsfreiheit entsprechend eingeschränkt. Überdies hatte Bülows Fähigkeit abgenommen, Wilhelm indirekt zu beeinflussen – ein entscheidender Faktor bei seinen früheren Erfolgen. Der Kaiser traute dem Kanzler nicht mehr wie früher und war deshalb weniger geneigt, seine Anregungen unkritisch zu akzeptieren. Das wurde im September 1907 bei den Gesprächen über den Nachfolger Tschirschkys deutlich, in denen es Bülow nicht

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