Vampirnacht
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Kapitel 1
I ch war schon eine ganze Weile nicht mehr zu Hause in der Anderwelt gewesen – jedenfalls nicht länger als ein paar Stunden. Als wir aus dem Portal in den Grabhügeln traten, nahe Elqaneve, der Stadt der Elfen, war der glitzernde Nachthimmel einfach umwerfend, unberührt von der Lichtverschmutzung in der Erdwelt. Dort drüben funkelten die Sterne schwächer, selbst auf dem Land, gedämpft und trübe. Aber hier … Hingerissen starrte ich zum Himmel hoch.
War ich wirklich so lange weg gewesen, dass ich vergessen hatte, wie schön meine Heimatwelt war? Und dennoch … und dennoch … die Lichter der Großstadt, die über die nächtliche Landschaft der Erdwelt wachten, sprachen mich auch an. Das geschäftige Treiben von Seattle war mir inzwischen vertraut und angenehm, und ich war nicht mehr so sicher, ob ich endgültig nach Hause zurückkehren wollte, selbst wenn man uns das anbieten würde.
Wir kamen um kurz vor sieben Uhr abends in der Anderwelt an, und die Dunkelheit des Frühlingsabends hatte sich noch nicht bis an den Rand des Himmels ausgedehnt. Meine Schwestern waren erleichtert, dass die kalte Jahreszeit sich dem Ende zuneigte, aber mir war der Winter lieber, wenn die Sonne früher unter- und später aufging. Im Sommer verschlang der lange Schlaf während des Tageslichts zu viel Zeit. Aber das Rad der Zeiten musste sich weiterdrehen, und jetzt kehrte eben der Frühling ein. In einer Woche stand die Tagundnachtgleiche an, und mit ihr meine Versprechensfeier mit Nerissa.
Wir hatten uns immer noch nicht auf alle Details geeinigt, und die Zeit wurde knapp. Die Geduld meiner Freundin war auch bald am Ende. Es machte sie rasend, dass mir einfach nichts zur Gestaltung des Rituals einfallen wollte. Mein ständiges »Wie du willst« nutzte sich allmählich ab, aber ich hatte wirklich keine Ahnung, was ich eigentlich wollte. Nach der Verwandlung in eine Vampirin hatte ich sämtliche Hoffnungen und Träume von Liebe und Hochzeit aufgegeben, und jetzt konnte ich mich nicht mal mehr daran erinnern, was mir da so vorgeschwebt hatte, ehe ich mein Leben verloren hatte.
Die Gedanken an Nerissa, an zu Hause und das Ritual traten in den Hintergrund, als Trenyth erschien. Der Berater von Königin Asteria holte uns ab, um uns zum Palast im Zentrum der Elfenstadt zu begleiten.
»Wurde aber auch Zeit. Ich erfriere gleich«, brummte Delilah und pustete sich auf die Finger.
Camille stupste sie mit dem Ellbogen an. »Mir ist auch kalt, aber sei ja höflich. Wahrscheinlich hat ihn irgendetwas Wichtiges aufgehalten.«
»Er kann mich doch von hier aus gar nicht hören.« Delilah funkelte sie an, zuckte dann mit den Schultern und schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans.
»Darauf würde ich nicht wetten. Elfen haben ein sehr feines Gehör.«
»Haltet ihr zwei jetzt mal die Klappe? Vom Rumjammern wird euch auch nicht wärmer.« Schon tat es mir ein bisschen leid, dass ich sie angefaucht hatte. Schließlich machte mir die Kälte gar nichts aus. Vampire spürten nicht viel vom Wetter, außer es wurde wirklich extrem. Ich wusste, dass meinen Schwestern und unseren Begleitern saukalt war, aber ich wollte nicht, dass jemand Trenyths Gefühle verletzte.
Wir hatten unsere Schlagkraft aufgeteilt und ein paar der Jungs zu Hause gelassen. Mitgekommen waren Trillian, einer von Camilles Ehemännern, Delilahs Verlobter Shade – ein Halbdrache –, Chase, der menschliche Detective mit einem Schuss Elfenblut in der Ahnenreihe, Rozurial, der Inkubus, und Vanzir, ein Dämon, der sich uns angeschlossen hatte. Damit waren wir durchaus kampffähig, aber es waren auch noch genug von uns erdseits geblieben, um das Haus zu schützen. Und das war absolut notwendig, vor allem jetzt, da die schwangere Iris und ihr Bruce aus den Flitterwochen zurück waren.
Trenyth sah müde aus, und zum allerersten Mal bemerkte ich ein paar winzige Fältchen um seine Augen. Elfen sah man ihr Alter selten an. Für sie verging die Zeit anders, ließ sie unberührt und unbeeindruckt. Und die meisten legten eine Geduld an den Tag, die einfach unbegreiflich war. Im Gegensatz zu den launenhafteren Bewohnern der Anderwelt schien diese Eigenschaft bei den Elfen mit den Jahrhunderten noch zu wachsen.
Trenyth war mittelgroß, dünn, aber nicht hager, elegant bis in die Haarspitzen, und er hatte eine geradezu königliche Haltung. Seine Manieren waren keine Fassade wie bei manchen anderen Höflingen – er war Etikette und Contenance in
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