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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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Manöver in der Endphase seiner Amtszeit hatten den Kaiser in eine peinliche Lage gebracht. Wilhelms einstige Hochachtung und Zuneigung für den Kanzler waren Misstrauen, ja regelrechter Feindseligkeit gewichen. Aber er wollte unbedingt die Finanzreform verabschieden lassen und weigerte sich, Bülow gehen zu lassen, bevor diese Aufgabe erledigt war. Falls die Vorlage jedoch an der Starrköpfigkeit der Konservativen scheitern sollte, wäre ein unmittelbar darauf folgender Abschied des Kanzlers inakzeptabel, weil er als öffentliches Eingeständnis des Monarchen gewertet würde, dass ein Minister auch von dem Willen des Parlaments abhängig sei, und als stillschweigende Anerkennung, dass der Kanzler eine »andere [also parlamentarische] Regierungsform« durchgesetzt hatte.
    Später behauptete Bülow, dass er das Unbehagen Wilhelms über die missliche Lage, in der er, also Wilhelm, sich befand, sehr wohl bemerkt hatte: »Ich kannte den hohen Herrn zu genau, um nicht zu merken, daß zwei Gefühle in ihm stritten. Er wünschte meinen Rücktritt, er wollte mich loswerden. Aber er wollte den Augenblick meines Ausscheidens, die Form und die Modalität meines Fortgehens selbst bestimmen.« 55 Am Ende wurde ein Kompromiss gefunden. Das Steuerreformgesetz scheiterte in der zweiten Lesung am 24. Juni am massiven Widerstand der Konservativen und des Zentrums. Zwei Tage danach war Bülow in Kiel und reichte beim Kaiser seinen Rücktritt ein. Wilhelm gewährte die Bitte, aber unter der Bedingung, dass Bülow formal im Amt blieb, bis die Reform vom Reichstag verabschiedet worden war. Dies gelang am 10. Juli 1909 unter der Aufsicht des voraussichtlichen Nachfolgers Theobald von Bethmann Hollweg, und Bülow schied vier Tage danach offiziell aus dem Amt aus.

Innenpolitik bis 1914
     
    Bethmann Hollweg war nicht Wilhelms Kandidat für das Kanzleramt. Wilhelm hatte eine Reihe anderer Kandidaten in Betracht gezogen und den Posten persönlich dem Diplomaten Anton von Monts angeboten – Bülow hatte Bethmann vorgeschlagen. 56 In diesem Fall gab es keine anfängliche Harmonie wie in den ersten Tagen der Partnerschaft mit Bismarck, Caprivi, Hohenlohe und Bülow. Bethmanns steife, offizielle Art stand einer entspannten Vertraulichkeit im Wege, wie sie in Bülows Blütezeit zwischen Kanzler und Kaiser geherrscht hatte. Wilhelm hielt Bethmanns Vorliebe für die Einhaltung korrekter Verfahren für pedantisch und frustrierend, und die Weigerung des Letzteren, in Angelegenheiten, die der Kaiser für dringend hielt, den üblichen Verfahrensweg abzukürzen, sorgte mehrfach für Spannungen zwischen den beiden. Im März 1913 ging Wilhelm sogar so weit, dass er Bethmann einen aus dem Daily Graphic ausgeschnittenen Artikel schickte, in dem behauptet wurde: »Deutschland ist ein patriotisches Land, das von furchtsamen, akribischen Bürokraten regiert wird, die jede Art von Arbeit verabscheuen und nur mit Mühe von den Experten zur Tätigkeit angetrieben werden können.« Wilhelm hatte die beleidigende Passage mit »stimmt« kommentiert. Zu der Zeit führte Bethmann gerade schwierige Verhandlungen über ein neues Militärgesetz und war tief gekränkt. Um ein Haar hätte er seinen Rücktritt eingereicht. 57
    Ungeachtet solcher Schwierigkeiten gelang es den beiden Männern aber, ein gutes Arbeitsverhältnis zu etablieren, vielleicht die stabilste Partnerschaft der Herrschaft Wilhelms. Das war aus mehreren Gründen möglich. Zum Ersten kannten die beiden Männer sich gut, auch wenn ihre Beziehung nicht übermäßig innig war. In seiner Jugend war Wilhelm mit Bethmann auf dessen Familiensitz bei Hohenfinow auf die Jagd gegangen; hier hatte er seinen ersten Hirsch geschossen, wobei er sein Gewehr auf die Schulter von Theobalds Vater Felix aufgelegt hatte. 58 Somit bestand eine gewisse Vertrautheit, wenn auch nicht echte Herzlichkeit zwischen den beiden. Zum Zweiten genoss Bethmann insofern einen »Bülow-Bonus«, als er von der massiven Verschlechterung der Beziehung zwischen Bülow und dem Kaiser in den letzten Jahren profitiert hatte. Nach Bülows Ränkespielen und Doppelzüngigkeit war Wilhelm geneigt, Bethmanns korrekte Art und konsequente Gewissenhaftigkeit zu schätzen. Bethmann warf nicht so freigiebig mit Schmeicheleien um sich, war aber auch nicht so eitel und selbstherrlich wie Bülow. Drittens trug Bethmanns Unbeliebtheit in einem zunehmend polarisierten Reichstag auf zweierlei Art zu einer Festigung der Beziehung bei. Zum einen machte sie Bethmann

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