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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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stärker vom Monarchen abhängig (und ihm diese Abhängigkeit stärker bewusst). Adolf Wermuth, der Staatssekretär des Schatzamtes von 1909 bis 1912, erinnert sich in seinen Memoiren, dass Bethmann größten Wert auf die Solidität seiner Beziehung zum Monarchen legte: »Es [die Beziehung] bildete die Wurzel seiner Kraft.« 59 Zum anderen betrachtete Wilhelm Bethmann gerade wegen seiner Unbeliebtheit (irrtümlich) als Vorkämpfer der monarchischen Exekutive gegen die Ansprüche der Legislative. Je stärker der Sturm der Kritik ausfiel, der Bethmann im Reichstag entgegenschlug, desto nachdrücklicher stärkte der Monarch seinem bedrängten Kanzler den Rücken. 60 Und schließlich war Bethmann ein überzeugter Monarchist – in mancher Hinsicht noch überzeugter als Bülow – und ein Mann, der viele Vorurteile Wilhelms teilte, nicht zuletzt sein Misstrauen gegenüber den nationalen Bestrebungen der Polen.
    Kein einziger dieser Faktoren implizierte jedoch eine Rückkehr des »persönlichen Regiments«. Die Fähigkeit des Kaisers, die politische Agenda zu bestimmen, sowie sein persönlicher Einfluss auf politische Angelegenheiten blieben arg begrenzt. Es gab keine gemeinsamen Machenschaften mit einzelnen Ministern, welche die Amtszeit Hohenlohes so destabilisiert hatten. Bethmann Hollweg verschaffte sich rasch eine mindestens ebenso strenge Kontrolle über die Exekutive wie Bülow. Nach dem Vorbild seines Vorgängers unterstrich er die Vorrangstellung des Vorsitzenden im preußischen Staatsministerium, indem er die Ernennung eines Stellvertreters verzögerte. Potenzielle Rivalen und Minister, die in Kernfragen anderer Meinung waren wie der Ministerpräsident (etwa Rheinbaben, Arnim und Moltke) wurden 1909/10 aus dem Amt entlassen. Darüber hinaus wählte in erster Linie Bethmann, nicht der Kaiser, die neuen Kandidaten aus (Hans von Dallwitz, Klemens Freiherr von Schorlemer-Lieser, August Lentze), mit dem Resultat, dass die Stimmung innerhalb des Ministeriums so harmonisch war wie noch nie. Es ist erstaunlich, wie geringfügig sich die Zusammensetzung des preußischen Ministeriums (nach Bethmanns Neubesetzung) bis 1917 änderte.
    Der Kanzler war somit imstande, das wichtigste, konstitutionelle Machtinstrument des Monarchen zu neutralisieren – oder in Schach zu halten. Außerdem gelang es Bethmann Hollweg, den Zugang der Minister zum Kaiser zu kontrollieren, insbesondere in den finanziellen Fragen, die seine Amtszeit in den Vorkriegsjahren so sehr in Anspruch nahmen. Ferner hatte er (genau wie Bülow) ein ausgezeichnetes Verhältnis zu Rudolf von Valentini, dem Chef des Zivilkabinetts, der persönlich den Zugang nichtmilitärischer Personen und den Informationsfluss zum Souverän überwachte. Auch wenn Valentinis Unabhängigkeit und Einfluss auf den Kaiser nie mit dem Eulenburgs zu vergleichen war, konnte man bei Bedarf doch mit seiner Hilfe unwillkommene Initiativen abblocken. 61
    Schließlich war Bethmann Hollweg selbst bereit, wenn nötig kaiserliche Initiativen abzublocken oder zu unterminieren, und konnte im Allgemeinen den Kaiser auch überzeugen. 62 Als Wilhelm etwa im April 1910 gegenüber Bethmann seine Empörung über die Tatsache zum Ausdruck brachte, dass in Berlin mit polizeilicher Genehmigung sozialdemokratische Wahlkampfveranstaltungen stattfanden, erwiderte Bethmann, die Genehmigung sei gemäß den Bedingungen erteilt worden, die das neue Vereinsgesetz festgelegt habe: »Die Regierung darf nie ungesetzlichen Boden betreten. Je peinlicher sie das Gesetz beachtet, um so fester ist ihre Berechtigung begründet, wenn es die Not erfordert, den Übertretern des Gesetzes mit Gewalt entgegenzutreten.« 63 Im März 1912 legte Bethmann dem Kaiser prompt ein Rücktrittsgesuch vor, als Wilhelm versuchte, sich direkt in die Verhandlungen mit der britischen Regierung über die Flotte einzuschalten, und damit den Kanzler überging. Das Gesuch endete mit den Worten: »Kraft des mir von Eurer Majestät übertragenen Amtes trage ich vor Gott, vor dem Lande, vor der Geschichte und vor meinem Gewissen die Verantwortung für die von Eurer Majestät befohlene Politik. Auch Eure Majestät können mir diese Verantwortung nicht abnehmen.« 64 In seiner Erwiderung gab Wilhelm, wie schon so oft, schleunigst klein bei. Er widerrief seine Intervention, weil sie angeblich auf Missverständnissen beruhe, und flehte den Kanzler an, es ihm nicht übel zu nehmen. »Ich appelliere […] an Sie als meinen obersten Beamten, persönlichen

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