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Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition)

Titel: Wilhelm II.: Die Herrschaft des letzten deutschen Kaisers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Clark
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unverhältnismäßig starke Resonanz in der deutschen, chauvinistischen Presse, angeführt von der alldeutschen Rheinisch-westphälischen Zeitung. Über diesen Artikel kamen sie auch Wilhelm zu Ohren, der aufmerksam die Fürstenkorrespondenz Wedekind las, eine zweitägige Zusammenstellung von Artikeln in deutschen überregionalen Zeitungen. Anschließend forderte er Berichte von den militärischen Kommandeuren in der Provinz an, die routinemäßig die Gelegenheit nutzten, um strengere Maßnahmen gegen die Bevölkerung zu fordern und über die Laschheit und Unentschlossenheit der zivilen Verwaltung herzuziehen. Wilhelm nahm Berichte aus diesem Milieu ohnehin tendenziell mit Wohlwollen auf, umso mehr als die Kommandogewalt – die außerparlamentarische Befehlsgewalt über seine militärischen Untertanen – durch die allmähliche Verdrängung aus der Innenpolitik zu dem weitgehend unangetasteten Überrest seiner operativen Souveränität geworden war. Es sollte auch nicht vergessen werden, dass der wichtigste, nichtmilitärische Berater Wilhelms, der überzeugte Zivilist Philipp Eulenburg, von Bülow, Harden und Konsorten aus dem Umfeld des Kaisers vertrieben worden war – eine schicksalhafte Entwicklung, die die ungewollte Konsequenz hatte, Wilhelm dem Militär in die Arme zu treiben.
    Im Januar 1911 trat die Gefährlichkeit dieser Arrangements zutage, als schon eine schwache Abkühlung in den Beziehungen zwischen den zivilen und militärischen Behörden in Elsass-Lothringen eine schwere, politische Krise auslöste. Die Umstände des Streits, bei dem es um eine Auseinandersetzung zwischen einem deutschen Verwaltungsbeamten in der Stadt Mühlhausen und seinem militärischen Widerpart ging, waren mehr als trivial, aber Wilhelm kam der Streit (über Presseberichte) rasch zu Ohren, stellte sich sofort auf die Seite des Militärs und verlangte eine Untersuchung. Statthalter Wedel verfasste für Wilhelm einen Bericht, der dem Verwaltungsbeamten massiv den Rücken stärkte; Korpskommandeur General Freiherr von Huene hingegen stellte sich hinter seinen Offizier und vertrat wie üblich die Ansicht, die Autorität und das Ansehen der preußischen Armee ständen auf dem Spiel.
    Wilhelm schlug sich auf die Seite der Militärs und telegrafierte seinen persönlichen Beistand an Huene und den betroffenen Offizier. Wedel gab daraufhin Bethmann Hollweg zu verstehen, dass er kurz davor sei zurückzutreten. Er schickte dem Kanzler sogar bereits eine Kopie des geplanten Rücktrittsgesuchs, in dem er darauf hinwies, dass das eigentliche Prinzip der zivilen Regierung in der Provinz und im Weiteren auch im gesamten Reich auf dem Spiel stehe. Wie Bethmann nur allzu gut wusste, wäre Wedels Rücktritt unter diesen Umständen als ein Sieg für das Militär gedeutet worden und hätte möglicherweise eine nationale, politische Krise ausgelöst. Dem Kanzler stand eine Herkules-Aufgabe bevor: Er musste irgendwie Wilhelm zu einer entgegenkommenderen Haltung bewegen, ohne den Anschein zu erwecken, das heilige Prinzip der Kommandogewalt zu verletzen oder sich in Bereiche einzumischen, die außerhalb seines verfassungsmäßigen Zuständigkeitsbereichs lagen. Seine Aufgabe wurde noch durch den Umstand erschwert, dass Wilhelm sich im Sommer 1911, als die Krise auf ihren Höhepunkt zutrieb, im Ausland auf seiner alljährlichen Kreuzfahrt in der Ostsee aufhielt – fast ausschließlich in der Gesellschaft von Militärs.
    Nach beharrlichen Bemühungen Bethmanns erklärte Wilhelm sich bereit, den betreffenden Offizier zu versetzen, aber erst nachdem der Verwaltungsbeamte ebenfalls von seinem Posten abberufen worden war. Als die Meldung von der bevorstehenden Versetzung des Offiziers in der liberalen Presse gefeiert wurde, widerrief Wilhelm jedoch diese Vereinbarung mit der Begründung: »Es dürfe nicht der Anschein erweckt werden, als ob eine derartige Allerhöchste Entschließung auf Drängen der öffentlichen Meinung erfolge.« Der geduldige Wedel zog nunmehr ernsthaft einen Rücktritt in Betracht, und weitere Anstrengungen waren erforderlich, um Wilhelm zu überzeugen, dass eine Versetzung ratsam sei, Wedel hingegen dazu zu bewegen, dass er im Amt blieb. Wilhelm gab nach, signalisierte jedoch seinen Unmut über die ganze Episode, indem er demselben Offizier auf seinem neuen Posten einen hohen Orden verlieh – eine symbolische Geste, die der liberalen Presse keineswegs entging. 68
    Weit schädlicher für das Ansehen der deutschen Verwaltung in

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