Will Trent 03 - Letzte Worte
Kapitel
S ara hörte die Küchenuhr ticken, als die Zeiger über Mitternacht sprangen. Viel zu lange schon saß sie am Tisch und starrte das schmutzige Geschirr an, das sich in und um das Spülbecken türmte. Es war nicht nur Lethargie, die sie auf diesem Stuhl festhielt. Zur Renovierung der Küche ihrer Mutter gehörten auch zwei Spülmaschinen, die so modern waren, dass man nicht mehr hören konnte, ob sie liefen oder nicht, und doch bestand sie darauf, das Porzellan und die Töpfe und Pfannen mit der Hand abzuspülen. Oder sie bestand darauf, dass Sara es tat, was Cathys anachronistische Art noch empörender machte.
Eigentlich hätte diese gehirnlose Tätigkeit ein willkommenes Ende für Saras Tag sein können. Im Grady zu arbeiten, das war, als würde man versuchen, auf einem sich drehenden Karussell stillzustehen. Der Strom der Patienten riss nie ab, und Sara bearbeitete im Allgemeinen zwanzig Fälle gleichzeitig. Mit Konsultationen und der stationären Routinearbeit sah sie während ihrer Zwölf-Stunden-Schicht durchschnittlich zwischen fünfzig und sechzig Patienten. Dies alles zu verlangsamen, sich immer nur auf einen Patienten zu konzentrieren, hätte eigentlich viel einfacher sein müssen, aber Sara merkte, dass ihr Gehirn inzwischen anders funktionierte.
Sie erkannte, dass der beständige Druck in der Notaufnahme in vielerlei Hinsicht ein Segen war. Als Sara noch im Grant County gewohnt hatte, war ihr Leben viel gemächlicher verlaufen. Normalerweise frühstückte sie jeden Morgen mit Jeffrey. Zwei- oder dreimal pro Woche aßen sie bei ihrer Familie zu Abend. Sara war der Mannschaftsarzt des örtlichen Highschool-Footballteams. Im Sommer half sie beim Volleyballtraining. Ihre Freizeit war schier unbegrenzt, wenn sie ihren Tag richtig plante. Im Lebensmittelladen einzukaufen konnte Stunden dauern, wenn sie eine Freundin traf. Sie schnitt Artikel aus Zeitschriften aus, um sie ihrer Schwester zu schicken. Sie war sogar zum Lesezirkel ihrer Mutter gegangen, bis man dort anfing, zu viele ernsthafte Bücher zu lesen, als dass es noch Spaß gemacht hätte.
Im Gegensatz dazu hielt die Arbeitsbelastung in Atlanta Sara davon ab, zu viel über ihr Leben nachzudenken. Wenn sie es am Ende der Schicht endlich geschafft hatte, alle Krankenakten zu diktieren, konnte sie sich nur noch nach Hause schleppen und nach einem Bad auf der Couch einschlafen. Ihre freien Tage waren vergeudet mit Aktivitäten, die sie jetzt als Beschäftigungstherapie betrachtete. Die Hausarbeiten waren etwas, das sie schnell erledigen wollte. Mittag- und Abendessen mit Freunden legte sie so, dass sie nicht viel Zeit allein mit sich selbst hatte. Allein mit ihren Gedanken.
All diese gewohnten Lebenskrücken waren im Keller von Brocks Bestattungsinstitut verschwunden. Eine Autopsie erforderte natürlich eine hohe Aufmerksamkeit, aber ab einem gewissen Punkt waren die Handgriffe nur noch Routine. Masse, Gewicht, Biopsie, Bericht. Weder Allison Spooner noch Jason Howell hatten irgendwelche bemerkenswerten Hinweise auf die Art ihres Todes hinterlassen. Das Einzige, was sie miteinander verband, war das Messer, mit dem sie getötet worden waren. Die Stichwunden waren beinahe identisch – jede stammte von einer dünnen, scharfen Klinge, die vor dem Herausziehen gedreht worden war, um maximalen Schaden anzurichten.
Bei Tommy Braham hatte sie nur ein Objekt gefunden, das auffiel: Die Leiche hatte eine kleine Metallfeder in der Vordertasche seiner Jeans gehabt, wie sie normalerweise in Kugelschreibern verwendet wurde.
Das Licht im Flur sprang an. Cathy rief: » Das Geschirr wäscht sich nicht von allein. «
» Ja, Mama. « Sara starrte missmutig zum Spülbecken. Hare war zum Abendessen da gewesen, aber sie vermutete, dass das aufgetragene üppige Mahl vorwiegend für Will bestimmt gewesen war. Cathy liebte es, für ein empfängliches Publikum zu kochen, und diese Charakterisierung traf auf Will sicherlich zu. Ihre Mutter hatte jedes Geschirrstück im Haus benutzt, hatte den Kaffee in feinen Tassen mit Untertassen serviert, was Sara sehr reizend fand, bis ihre Mutter sie darüber informierte, dass Sara jedes einzelne Stück würde abspülen müssen. Hare hatte über den Ausdruck auf ihrem Gesicht gebrüllt wie ein Affe.
» Versuch’s doch mal mit Naserümpfen, wenn du das Geschirr anstarrst « , schlug Tessa ihr vor, als sie in die Küche kam. Sie trug ein wogendes gelbes Nachthemd, das ein Zelt über ihrem Bauch bildete.
» Du könntest mir ja
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