Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Willkommen im sonnigen Tschernobyl

Titel: Willkommen im sonnigen Tschernobyl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Blackwell
Vom Netzwerk:
jemanden zum Sadhu machte. Musste man sich irgendwo anmelden? Oder wurde man auserwählt?
    »Es hat mit der Lebensweise des Menschen zu tun«, antwortete Sunil. »Jemand, der nur mit Gott sein und dienen will.«
    »So wie du«, sagte Jai. »Du bist hierhergekommen. Du machst dir Gedanken um die Welt. Leute, die für andere mitdenken, sind Sadhus.«
    »Dann bin ich also ein Sadhu?«, fragte ich. Konnte man unabsichtlich Sadhu werden?
    Jai ignorierte die Frage. »Das ist kein einfacher Kampf«, sagte er. »Ohne Füller und Tinte ist er nicht zu gewinnen.« Ihm war wichtig, dass ich es wirklich begriff. »Die Leute haben aus der Yamuna getrunken, um sich zu reinigen«, sagte er. »Nun kann man sie nicht einmal mehr berühren. Vor Kurzem haben ein paar Pilger etwas Yamunawasser getrunken und mussten noch am selben Abend ins Krankenhaus eingeliefert werden.« Die Dörfer entlang des Flusses konnten ihn nicht mehr als Wasserquelle nutzen.
    »Kann die Regierung nicht für sauberes Wasser sorgen?«, forderte er. »Wenn sie in der Lage ist, eine U-Bahn dreißig Meter tief in die Erde zu bauen, kann sie das doch auch.« Er schlug die Hände gegeneinander. Jemand musste den reinigenden Fluss reinigen. »Wir geben nicht auf, bevor die Yamuna nicht sauber ist. Das ist wichtiger als Religion. Wichtiger als der Mensch.«
    *
    Mit den Sadhus zu wandern ist billiger und malerischer als den Bus zu nehmen, aber man muss sich daran gewöhnen, in der Öffentlichkeit zu kacken, was für Menschen aus dem Westen überaus schwierig sein kann. Früher hatte ich mich über Leute amüsiert, die sich zu viele Sorgen über die sanitären Einrichtungen in fernen Ländern machten, aber nun stellte ich fest, dass ich einer von ihnen war. Sich Sorgen darüber zu machen, eine Toilette zu finden, war ein fundamentaler Ausdruck meines kulturellen Erbes. Die gesamte westliche Zivilisation war auf einer Reihe von Technologien erbaut worden, deren einziges Ziel es war, die Menschen von ihren Ausscheidungsprozessen zu entfremden. (Deutschland mit seinen Präsentiertoiletten ist da eine Ausnahme.) Auf jeden Fall hätte ich mich liebend gerne von einem dicken Packen Rupien getrennt, um einige Zeit allein mit einer Porzellanschüssel verbringen zu können.
    Auf einer Yatra hat man mit dem Thema Privatsphäre in bestimmten Teilen Indiens zu kämpfen, genauer, mit dem Mangel daran. Hinter jedem Busch und jeder Ecke hängt jemand herum, arbeitet, schläft oder scheißt. Ich bezweifle, dass es die Leute, die in Indien auf dem Land aufgewachsen sind, stört; ihnen ist es egal, ob jemand sie beim Kacken im Feld sieht. Aber für einen Weißen aus New York – und auch für eine gebildete junge Frau aus Delhi, wie Mansi mir bestätigte –, ist es schlicht und einfach nicht okay. Man braucht also ein System.
    Überlebenshandbuch zum Draußenscheißen auf Wanderungen mit Sadhus
    1. Wähle eine Zeit . Alle anderen gehen morgens, das würde allerdings zu gemeinsamem Scheißen oder zumindest einer Scheißkameradschaft mit den Sadhus führen, die unter allen Umständen vermieden werden sollte. Am besten ist es nachmittags, wenn die anderen schlafen.
    2. Bring dein eigenes Toilettenpapier mit. Diese Typen kennen kein Toilettenpapier, sondern nehmen stattdessen einen kleinen Behälter mit Wasser mit, um sich zu waschen – eine Methode, für die du nicht ausgebildet bist. Also pack ein, zwei Rollen ein. Der Nachteil von Toilettenpapier ist, dass man es zurücklassen muss und damit unweigerlich den eigenen Haufen markiert. (Schließlich bist du in einem Umkreis von Kilometern einer von zwei Menschen, die Toilettenpapier verwenden.) Jeder Sadhu, der auf deine Hinterlassenschaft trifft, kann also deine Methode studieren.
    3. Wähle einen Ort. Wichtig ist, das Gesehenwerden auszuschließen. Am zweiten Tag der Yatra zum Beispiel fand ich einen netten Platz hinter einem kleinen verfallenen Ziegelsteinbau, der mich sowohl vom Highway abschirmte als auch von drei Lkw-Fahrern, die sich an der Auffahrt zum Highway aufhielten. Richtung Süden war ein Winkel von 45 Grad offen, aber da dort niemand war, sah es gut aus für mich.
    4. Scheiße . Arbeite schnell. Jetzt ist nicht die Zeit, E-Mails zu checken.
    5 . Im herkömmlichen nordamerikanischen Freiluftverfahren wäre dieser Schritt » Flieh« , aber stattdessen möchte ich einen weiteren Zwischenschritt einführen: Warte kurz. Zieh dir die Hose hoch, das schon, aber beobachte, wie deine Wurst innerhalb der ersten Sekunden ihrer

Weitere Kostenlose Bücher