Willkommen im sonnigen Tschernobyl
Bewohnern, die aus Neugier gekommen waren.
Unterstützt durch die ausführliche internationale Berichterstattung, gab der Salzmarsch der indischen Unabhängigkeitsbewegung gewaltigen Aufschwung und machte zivilen Ungehorsam als wichtige politische Strategie populär. Auch die Demonstrationen der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung waren Yatras. In der Hoffnung auf einen ähnlichen Dominoeffekt hatten Shri Baba und seine Gefährten die Yamuna-Yatra organisiert. Bisher hatte er allerdings noch nicht ganz so viele Menschen mobilisiert wie Gandhi oder Martin Luther King jr. Im Dunkeln konnte ich es nicht so genau erkennen, aber ich zählte etwa zwanzig Zelte.
In der Mitte des Lagers hielten sie einen Satsang ab, eine Art Gruppendiskussion oder Teach-in. Zwei Dutzend Menschen aus den Nachbardörfern saßen im grellen Schein einer Arbeitslampe auf dem Boden, während Jai ins Mikrofon sprach, das an ein paar übersteuerten Lautsprechern angeschlossen war.
»Dieses Land gehört euch«, dolmetschte Mansi. »Die Abgaben sollen euch dienen, aber das tun sie nicht. Ihr bekommt nicht, was euch zusteht. Kommt morgen früh mit uns. Geht mit. Zieht mit uns nach Delhi.«
*
Morgens um Viertel nach fünf spürte ich den Boden unter mir, dann bemerkte ich das Zelt und dann den Klang von zwei aneinandergeschlagenen Zimbeln. Ich öffnete das faltbare Moskitozelt, das Sunil wohlweislich bereitgestellt hatte, und stolperte aus meinem Kokon in die Dunkelheit eines neuen Tages. Über meinem Kopf flatterten Fledermäuse.
Jai war schon wieder am Mikrofon. » FÜNF MINUTEN! «, sagte er in das Kreischen einer Rückkopplung hinein. » ES IST GUT, GOTTES NAMEN ZU SINGEN, ALSO TUN WIR DAS! « Mit einer ohrenbetäubenden Runde Radhe Krishna Radhe Sharma wärmte er uns auf. Ein paar Männer in orangenen Gewändern stolperten herum und stellten sich dann hinter dem weißen Pick-up mit den Lautsprechern auf. Jai gab den Marsch befehl. »Geht nicht vor dem Pick-up her!«, warnte er. Mit etwas Gebrüll schoben sie den Wagen an. Der Fahrer trat die Kupplung, der Motor erwachte rülpsend und mir nichts, dir nichts hatte ein neuer Yatra-Tag begonnen.
Wir waren nicht mehr als 25 Leute. Wir wanderten die Straße entlang, folgten dem Pick-up, an dessen Seiten Banner mit Shri Baba darauf befestigt waren und mit dem Vorsitzenden der Bauerngewerkschaft, mit dem Shri Baba eine strategische Allianz gebildet hatte. Unter den Demonstranten waren einige Gewerkschaftsmitglieder, erkennbar an ihren grünen Kappen.
Wir gingen vorbei an Weizenfeldern, die im Nebel lagen, und der Tag brach an. Ich ließ mich ein wenig zurückfallen, um die akustische Todeszone direkt hinter dem Wagen zu verlassen, und kam allmählich in den Rhythmus des Marsches. Irgendwann wurde Jai es müde, unsere radhe -dies-, radhe -das-Gesänge anzuleiten und eine Combo junger Sadhus holte Trommeln und Zimbeln hervor und improvisierte einige flotte Krishna-Songs. Mitten unter ihnen saß ein junger Mann mit Laptop, Antenne und Webcam auf dem Wagen und versuchte, einen Live-Webcast zusammenzubasteln. Als die Musiker erschöpft waren, schlossen sie die Lautsprecher einfach an den Computer an und spielten von dort einige Krishna-Hymnen und ein paar Archivaufnahmen von Shri Baba ab. Sein schleppender Bariton schallte über die Gangesebene. Dann kamen wir durch ein Dorf, Jai wurde ganz aufgeregt, nahm das Mikro und alles begann von vorn.
Beim Frühstück, das von Tellern, die aus Blättern bestanden, am Straßenrand gegessen wurde, deutete Sunil an, Mansi und ich könnten es vielleicht vorziehen, im Pick-up oder sogar in seinem Jeep mitzufahren. Es war nicht leicht, ihn davon zu überzeugen, dass wir durchaus bereit waren, auf dem Marsch zu marschieren.
Die bescheidene Prozession setzte sich wieder in Gang. Ein gedrungener Sadhu mit grauem Bart und Wampe verteilte Flugblätter an Schaulustige am Straßenrand. Sie versammelten sich in kleinen Gruppen, um die Nachrichten zu lesen. Creepy Baba fotografierte: Für jedes Foto, das er von den Demonstranten oder der Landschaft machte, schien er zwei von Mansi zu schießen.
»Oh Gott«, sagte sie. »Er ist so gruselig.«
Mansi entfernte sich ein paar Schritte, um selbst ein paar Aufnahmen zu machen, und ich holte einen schlanken, älteren Mann ein, der ein Fahrrad schob. Er war am Abend zuvor schon beim Satsang gewesen.
»Was ist Ihr Land?«, fragte er in zaghaftem Englisch.
» USA «, antwortete ich und er nickte lächelnd. Ihm zuliebe holte ich
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