Willkommen im Wahnsinn: Roman (German Edition)
Art. Einer unserer Klienten nannte sie mal »sensationell – wie ein Tritt in die Eier«. Vermutlich ist das die beste Beschreibung ihrer irgendwie aggressiven Aura, die ich jemals gehört habe.
»Kann ich dir helfen, Jemima?«, frage ich. »Camilla kommt erst um halb zehn, sie hat einen Frühstückstermin im Wolseley .«
Unter uns gesagt, das erfinde ich. Die einzigen Frühstückstermine, die Camilla heutzutage wahrnimmt, sind für ihre drei Kinder und die Nanny reserviert. Aber es ist besser, ihre unvermeidliche Verspätung mit einer glaubwürdigen Entschuldigung zu erklären.
»Falls du was Wichtiges suchst – ich weiß, wo alle ihre Akten liegen.«
Jemima lächelt mit der zähnefletschenden Herzlichkeit eines Krokodils. »Wirklich, es ist nichts Besonderes. Ich suche nur eine Nagelfeile. Und Cam hat doch immer eine da, nicht?«
»Tut mir leid.« Vielsagend inspiziere ich ihre perfekt manikürten Fingernägel. »Davon weiß ich nichts. Soll ich vielleicht rasch zu Boots laufen und dir eine Nagelfeile besorgen?«
»O nein, nicht einmal im Traum würde ich dich um so etwas bitten. Mel kann mir eine besorgen, wenn sie ins Büro kommt. Wann immer das ist – du kennst sie ja.« Jemima verdreht die Augen und legt verschwörerisch eine Hand auf meinen Arm. »Würde sie sich bloß ein Beispiel an dir nehmen, Lizzy, du bist ja so wundervoll organisiert! Ohne dich wäre die arme alte Cam doch völlig aufgeschmissen, nicht wahr?«
»Sie hätte bestimmt keine Probleme«, murmle ich unverbindlich, denn ich nehme an, sie meint das nicht als Kompliment. Vielmehr will sie mich ködern und drängen, am »Camilla Carter hat in letzter Zeit den Überblick verloren«-Geschwätz teilzunehmen. Das ist nämlich Jemimas Spezialthema.
»So eine loyale Assistentin wie dich könnten wir alle brauchen, Lizzy. Hoffentlich sagt sie dir auch, dass sie dich zu schätzen weiß. Du gehst doch mit ihr durch dick und dünn, nicht wahr? Selbst wenn die Dinge – nun ja – so sind, wie sie sind.«
Sie schaut sich im Büro um, als wäre allein schon der Anblick dieses Raums schmerzlich. Aber ich muss mir keine Sorgen machen. In Camillas Ablage für Eingänge ist alles penibel in Klarsichthüllen sortiert. Ihr Terminkalender
für diese Woche liegt geöffnet auf dem Schreibtisch und stimmt mit dem Computerkalender überein (wenigstens weiß sie, wann sie wo sein sollte). In der Vase stecken frische Blumen, die Titelblätter der Magazine auf dem Couchtisch zeigen Fotos ihrer Klienten. Völlig okay, nett und angenehm. Oberflächlich betrachtet.
»Alles in Ordnung, Jemima, warum sollte es auch anders sein?«, frage ich, gehe zu meinem Schreibtisch und sortiere die Papiere in der Hoffnung, sie würde den Versuch aufgeben, mich zum Verrat an meiner Chefin zu verleiten.
»Nun, wenn du mal drüber reden willst, wie du mit der armen Cam zurechtkommst – du weißt ja, wo du mich findest. Falls du mir dein Herz ausschütten möchtest. Natürlich streng vertraulich. Davon muss Camilla nichts erfahren.«
Zum Abschied tätschelt sie meinen Arm, dann trippelt sie auf ihren Zwölf-Zentimeter-Stilettos zur Tür hinaus. Als würde ich ihr jemals irgendwas anvertrauen! Lieber stecke ich meinen Kopf ins Maul eines Löwen, da würde ich mich sicherer fühlen.
Jemima schaut noch mal ins Büro. »Sag Camilla, die Planungsbesprechung findet heute in meinem Büro statt.«
»Wird gemacht.«
»Übrigens«, fügt sie beiläufig hinzu, bevor sie endgültig verschwindet, »einfach grässlich, was mit Randy Jones passiert, nicht wahr? Ich hab’s heute Morgen in der Hot Slebs gelesen, armer Kerl.«
O Gott, o Gott, o Gott, O GOTT, wie haben sie es nur rausgefunden? Ich wusste es doch, ich hätte die Zeitschrift im Zug lesen sollen. Ich zerre sie aus meiner Tasche und
blättere darin, während ich meinen Computer einschalte. Da, auf Seite zwölf. Einen dicken gelben Pfeil brauchen sie gar nicht. Auch keine witzige Schlagzeile. Um die Wahrheit zu sagen, die grobkörnigen Handyfotos von Camillas heißestem Klienten am Boden eines Einzimmerapartments in Holloway sprechen für sich selbst. Aus seinem linken Arm hängt eine leere Spritze. Quer über seinem Schoß liegt ein ohnmächtiges männliches Model im Teenageralter.
Es ist nicht so, dass wir keine Ahnung gehabt hätten. Am frühen Sonntagmorgen kam Randy zu sich, geriet in Panik und rief sofort seinen Manager an. Vielleicht würden manche Leute sagen, er hätte zuerst den Notarzt rufen sollen. Aber die
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