Wind der Traumzeit (German Edition)
Künstlerwerkstatt kaum mehr vor Aufträgen retten können.« Nora wehrte ab. »Das sind allein Marrindis und Wudimas Geschichten. Ich hab sie nur aufgeschrieben.«
»Du hast den richtigen Ton getroffen. Du hattest die Idee, und du hast nicht aufgegeben.« Er zog sie an sich und sah ihr in die Augen. »Gib nicht auf, mach weiter, ja?«
In den nächsten Tagen blieb Nora stiller und in sich gekehrter als zuvor. Sie suchte noch stärker den ohnehin schon engen Kontakt zu ihren Kindern und schien nur für sie zu leben. Bill und Lisa hatten sie gedrängt, bei ihnen zu bleiben, bis sich die Zukunft geklärt hätte. Nora hatte zunächst angesichts dieser großzügigen Gastfreundschaft gezögert. Das Letzte, was sie jetztnoch wollte, war, Freunden auf der Tasche zu liegen. Doch als sie mitbekam, dass diese Gastfreundschaft allen vom Feuer betroffenen Familien im Ort zuteil wurde, war sie gerührt gewesen. Jeder, der irgendwie helfen konnte, half auch. Alle Bürger der kleinen Stadt Cameron hielten zusammen und packten mit an. Gemeinsam wurden noch brauchbare Gegenstände aus den Trümmern gefischt und Schutt und Asche abgetragen, damit möglichst bald neue Häuser entstehen konnten. Verkohlte Autowracks wurden abgeschleppt. Wie zum Hohn regnete es nun häufig, und Nora konnte sich nur schwer gegen das Gefühl wehren, dass die Schöpfung sie alle auf ihre Belastbarkeit hin hatte überprüfen wollen.
Dennoch hatte sie sich einige Zeit später gefangen und innerlich zur Ordnung gerufen. Dies war ihr Leben, »ihre Baustelle«, sie war mitverantwortlich dafür, was daraus wurde und wie es ihren Kindern ergehen würde.
Als sie zwei Wochen nach dem Feuer erneut vor den Trümmern ihres Hauses standen, legte Tom behutsam einen Arm um sie. Beide schwiegen, doch es war nicht mehr das sprachlose Schweigen des ersten Schocks – es war eher die abwartende Stille des Kommenden, der Zukunft.
Nora sah über die Trümmer hinweg auf das Land. Erstaunen spiegelte sich auf ihrem Gesicht. Überall schoss frisches zartes Grün aus der Asche. Selbst Bäume, die ihr zuvor anklagend wie schwarze Skelette vorgekommen waren, brachten büschelartig neue Triebe hervor. Die verbrannten Weiden zeigten einen sattgrünen Schimmer und versprachen den Tieren der Umgebung neue Nahrung. Nora atmete tief durch. Wie mächtig war die Natur. Dürre und heiße Winde hatten Feuer entfacht undscheinbar alles zerstört. Doch Unmengen Regen und kühlere Luft gaben der Welt das Leben jetzt zurück. Niemand konnte dabei vorhersehen, für wie lange.
Nora dachte an die ersten Siedler, die mit Planwagen und Ochsengespannen durch dieses Land gezogen waren – Familien mit kleinen Kindern, die hier neu hatten anfangen wollen. Sie mussten mit einfachsten Mitteln gegen Hitze und Staub, Dürre und Überschwemmung, gegen Krankheit und Tod kämpfen. Damals gab es auch den Flying Doctors Service noch nicht. Wie viel schwerer mochte alles für diese Siedler gewesen sein? Nora blickte wieder auf die Trümmer des Hauses. Auf einem übrig gebliebenen großen Stein sonnte sich eine hübsch gezeichnete Eidechse in den ersten wärmenden Strahlen der Sonne, die hinter den Wolken hervorblitzte. Das Tier schien so gänzlich desinteressiert an der verbrannten Umgebung, dass Nora über diese Ignoranz unwillkürlich lächeln musste.
Tom sah es und nahm ihre Hand.
»Wir schaffen das. Ganz bestimmt, Nora.«
Sie hielt ihr Gesicht in den Wind und schloss einen Moment die Augen. Sekundenlang glaubte sie in weiter Ferne den Klang eines Didgeridoo zu vernehmen. Sie fühlte sich seltsam beruhigt und atmete tief durch. Dann schaute sie Tom an und nickte.
Literaturhinweis
An dieser Stelle möchte ich das Buch Geheimnisvolle Kultur der Traumzeit von Robert Craan erwähnen. Die sensible Art und Weise, mit der der Autor sich der Kultur der Aborigines nähert, hat mich sehr berührt und mir dabei geholfen, Noras Faszination für den Kontinent Australien und hier besonders seine Ureinwohner betreffend verständlicher zu machen.
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