Wind der Traumzeit (German Edition)
brachte Maries Sandalen vorbei, die sie am Vortag beim Röntgen vergessenhatte. Nora bedankte sich und bot ihr einen Kaffee an. Die junge Schwester ließ sich auf einen Stuhl fallen und verfolgte ebenfalls die Nachrichten.
Tom sah zu Nora. »Wenn ich heute schon frei habe, fahre ich doch mal zu uns und schaue, ob ich irgendetwas tun kann.« Bill stand auf. »Komm, ich muss ohnehin in die Klinik, ich setze dich unterwegs ab.«
Nachdem die Männer gegangen waren, machte Kim ebenfalls Anstalten aufzubrechen, doch Nora hielt sie zurück. »Kannst du noch ein bisschen bleiben, Kim, oder bist du nach der Nachtschicht zu müde?«
Kim schüttelte den Kopf und zeigte auf ihre Tasse. »Nein, das geht in Ordnung, Nora. Dieser Kaffee hier weckt Tote auf. Ich bleibe gerne hier. Außerdem hab ich deine beiden Kleinen so lange nicht gesehen.«
Nora war sehr froh, dass Kim ihr mit den Kindern half und mit den Kleinen spielte. Sie konnte ihre Unruhe nicht abschütteln und lief ständig hin und her. Nach zwei Stunden kam Kim, die sah, wie nervös Nora war, mit Steven auf dem Arm hinter ihr her.
»Weißt du was? Du fährst jetzt zu Tom und schaust nach. Vielleicht wirst du dann ruhiger. Mach dir keine Gedanken, ich bleibe bei den Kindern.«
»Danke, Kim.«
Eine halbe Stunde später schlug ihr Herz immer schneller, als sie in den Weg zu ihrem Haus einbog. Qualmwolken versperrten ihr die freie Sicht, und sie bemerkte Feuerwehrfahrzeuge. Es herrschte hektische Betriebsamkeit.
Nora hielt an und beobachtete fassungslos vom Auto aus, wiedie Feuerfront jetzt wahrhaftig immer näher kam. Das Entsetzen über die Unabwendbarkeit des Kommenden lähmte sie förmlich. Durch Rauchschwaden sah sie, wie Feuerwehrmänner mit Schläuchen hantierten und wie Tom aus einer Qualmwolke heraus auf den Wagen zulief. Er fuchtelte mit beiden Armen. »Nora, fahr zurück!« Er begann unter seinem Mundschutz zu husten. Sein Gesicht war dunkel verschmiert, und seine Augen tränten. Das verschmutzte T-Shirt klebte ihm am Körper. Er ging vor ihrem Seitenfenster in die Hocke und versuchte zu Atem zu kommen.
Nora nahm das alles wie in Trance wahr. Sie blickte über seinen Kopf hinweg zum Haus. Unwillkürlich schrie sie auf, als der Wind einen Feuerball aus brennender Baumrinde durch die Luft in den ersten großen Eukalyptusbaum trieb, der neben dem Haus stand. Knisternd landeten die Flammen in der Baumkrone und fanden zischend sofort neue Nahrung. Tom hatte sich aufgerichtet und gleich umgewandt, als die tosenden Geräusche plötzlich so nahe zu vernehmen waren. Der riesige Baum stand explosionsartig in Flammen. Eukalyptusöl verdampfte. Alle Vorsichtsmaßnahmen hatten nichts genützt. Das Feuer hatte die Gräben übersprungen und sich seinen Weg gebahnt. Verzweifelt nahm Tom Noras Hand, die auf der heruntergelassenen Scheibe ihres Fensters ruhte. Seine Stimme klang rau.
»Nora, sieh dir das nicht an. Fahr zurück zu den Kindern.«
Sie hörte ihn kaum. Der Schock hatte sie betäubt. Seltsam klar und deutlich beobachtete sie die umher eilenden Männer, die den Kampf nicht aufgeben wollten – und nun doch zurückbeordert wurden. Unwillkürlich musste sie an aufgescheuchte Ameisen denken. Rauchwolken zogen in Schwaden davon und verdunkelten den Himmel, als wäre bereits der Abend angebrochen. Funken flogen überall umher und brachten Sträucher und Bäume zum Glühen. Manche Baumstämme sahen aus der Entfernung aus, als wären sie mit Lichterketten umwickelt worden. Die Luft knisterte. Selbst in der Hölle konnte es kaum heißer sein. Fast schon erstaunt registrierte Nora den tosenden Lärm, den das Feuer verursachte. Ein riesiger brennender Ast brach ab, stürzte auf das Vordach der Veranda und durchbohrte es. Klirrend zerbarsten die ersten Scheiben, die unter der Wucht der Zweige, die sie streiften, nachgaben. Aus einem Reflex heraus wollte Tom sich umdrehen und zum Haus laufen, doch Nora gelang es, seine Hand festzuhalten. Es hatte keinen Sinn mehr. Nun war sie es, die erschreckend ruhig blieb. Ihre schlimmsten Befürchtungen waren dabei sich zu erfüllen, als die hübsche hölzerne Vorderfront des Hauses in Flammen aufging. Es geschah einfach so. Und während es geschah, musste sie es akzeptieren. Es gab nichts mehr, was sie zu fürchten hatte. Die gelbe, mit fröhlichen Tiermotiven bedruckte Gardine aus Stevens Babyzimmer flatterte aufgeregt im Wind und schien die Flammen verscheuchen zu wollen, die nun gierig ins Haus flackerten. Nora hielt Toms Hand und
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