Wind der Traumzeit (German Edition)
förmlich im Erbgut niedergeschlagen zu haben. Sicher, man weinte und klagte auch, aber eigentlich nur, um gleich darauf die Ärmel hochzukrempeln und von neuem zu beginnen. Auch hängte man sein Herz nicht zu sehr an ein Zuhause. Die Menschen in Australien zogen viel häufiger um, als Nora das von Deutschland her kannte. Man war einfach flexibler, was Wohnort- und Berufswechsel anging. Nora hatte unter all diesen Pragmatikern häufig das Gefühl, nicht richtig zu ticken und fehl am Platz zu sein.
Das Läuten des Telefons im Flur ließ sie gedankenverloren aufschauen. Gleich darauf öffnete sich die Tür, und Tom schaute herein.
»Nora? Niklas ist am Telefon.«
Noras Herz schlug schneller. Sie stand rasch auf. Innerlich betete sie darum, dass sie fähig sein würde die Fassung zu wahren, denn nach der Katastrophe, die hinter ihr lag, war sie verletzlicher denn je. Sie biss die Zähne zusammen. Wenn sie jetzt noch Niklas’ Stimme hörte, würde sie ihn bestimmt noch mehr vermissen als sonst. Sie nahm den Hörer in die Hand. »Hallo, Nicky, das ist aber schön, dass du dich meldest.«
»Hallo, Mama. Geht es euch gut? Papa hört auch mit. Wir haben in den Nachrichten die Berichte über die Feuer gesehen. Sie sind immer näher zu euch gekommen, nicht?« Nora schluckte und riss sich zusammen. »Ich hätte mich bestimmt auch bald gemeldet... « Sie zögerte kurz. »Es geht uns allen gut, aber leider hat die Feuerwehr unser Haus nicht retten können, Nicky.«
Betretenes Schweigen lag in der Leitung.
Nora atmete tief durch und gab sich zuversichtlicher, als sie war. »Aber das wird schon wieder. Die Hauptsache ist schließlich, dass wir gesund sind, nicht? Woher hast du denn die Nummer von Bill und Lisa?«
Niklas klang unsicher. »Na, als wir euch nicht erreichen konnten, haben wir im Krankenhaus angerufen. Dein Handy ist ja sowieso mehr ausgeschaltet als an, Mama. Ist wirklich das ganze Haus abgebrannt?«
Nora biss sich kurz auf die Unterlippe. In Sekundenbruchteilen ließ die Erinnerung das lodernde Feuer wieder vor ihren Augen erscheinen, das erbarmungslos alles verschlungen hatte. Sie sah die Flammen, den Rauch und meinte fast den beißenden Qualm riechen zu können.
Mit leiser Stimme antwortete sie: »Ja, Nicky, das ganze Haus und auch der neue Anbau. Alles ist verbrannt, aber gleich danach hat es angefangen zu regnen. Das hat wenigstens Cameron Downs vor dem Schlimmsten bewahrt. Du weißt ja, dass unser Haus ein wenig außerhalb liegt.« Sie verbesserte sich rasch. »Ich meine, es lag außerhalb.«
Niklas wusste nichts zu erwidern. Für einen kurzen Moment herrschte Stille, dann sagte er: »Papa will dich sprechen. Passt auf euch auf, Mama, ja? Und melde dich wieder. Grüß Marie.« »Ja, Nicky, das mache ich.«
Max klang besorgt. »Seid ihr wirklich okay, Nora?«
»Ja, wir sind gesund. Marie geht es auch gut. Wir sind natürlich alle etwas niedergeschlagen, aber das ist ja nicht weiter verwunderlich.«
Max spürte, wie sehr sie sich zusammenriss. Er wandte sich an seinen Sohn. »Niklas, geh frühstücken, wir müssen gleich los.« Nora lächelte unwillkürlich. Die Zeitverschiebung war immer noch in der Lage, sie in Erstaunen zu versetzen. Hier waren die Menschen fast dabei, zu Bett zu gehen, während auf der gegenüberliegenden Erdhalbkugel gerade ein neuer Tag anbrach. Sie hörte, wie Max sich räusperte.
»Wie kommst du damit klar, Nora? Wo lebt ihr jetzt? Seid ihr wenigstens versichert?«
Nora atmete durch. Sie wollte ihn nicht ihre Verstörtheit spüren lassen. »Wir sind bei guten Freunden untergebracht, bei Bill und Lisa. Und ja, wir sind versichert, was hier merkwürdigerweise durchaus nicht selbstverständlich ist … Insofern ist die Katastrophe nur noch halb so schlimm …« Sie schwieg. Irgendetwas schnürte ihr fast die Kehle zu. War es Heimweh?
»Kommst du wirklich klar mit dem Ganzen? Brauchst du irgendetwas? Vielleicht Geld für den Übergang?«
Sie starrte auf ein von Wudima gemaltes Bild, das über dem Telefontisch hing. Ihre Stimme zitterte leicht. »Das ist sehr lieb von dir, Max, aber es wird schon alles gut gehen. Die Versicherung zahlt bestimmt bald. Ich … ich hab nur ein paar Schwierigkeiten, mir die nächsten Monate vorzustellen, weißt du? Mit drei Kindern auf den Neubau zu warten wird bestimmt nicht leicht.« Sie verschwieg die Angstgefühle, die sie hin und wieder übermannten. Dafür war Max nun wirklich nicht verantwortlich, und sie wollte ihn damit auch nicht
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