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Windkämpfer

Windkämpfer

Titel: Windkämpfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Redick
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Arzt wollte ihn auf den Arm nehmen, es konnte nicht anders sein. Arqual und das Mzithrin hatten sich jahrhundertelang befehdet, und der letzte Krieg war der blutigste von allen gewesen. Er war vor vierzig Jahren zu Ende gegangen, aber Arqualier und Mzithrini fürchteten und verabscheuten einander noch immer. Manch einer beschloss sein Morgengebet damit, dass er sich nach Westen wandte und ausspuckte.
    »›Unmöglich‹«, überlegte Chadfallow kopfschüttelnd. »Ein Wort, das wir tunlichst vergessen sollten.«
    In diesem Augenblick ertönte die Stimme des Bootsmanns: »Schiff hafenklar machen! «
    Die plappernden Stimmen verstummten; Matrosen und Teerjungen eilten auf ihre Posten. Auch Pazel schickte sich zum Gehen an – Befehl war Befehl –, aber Chadfallow packte ihn am Arm und hielt ihn fest.
    »Deine Schwester ist am Leben«, sagte er.
    »Meine Schwester!«, rief Pazel. »Sie haben Neda gesehen? Wo ist sie? Ist sie in Sicherheit?«
    »Nicht so laut! Nein, ich habe sie nicht gesehen, aber ich habe vor, sie zu besuchen. Sie und Suthinia.«
    Pazel hätte fast wieder losgeschrien, aber er beherrschte sich mühsam. Suthinia war seine Mutter. Er hatte befürchtet, sie wäre mit seiner Schwester beim Überfall auf Ormael umgekommen.
    »Wie lange wissen Sie schon, dass sie noch leben?«
    »Du darfst keine weiteren Fragen mehr stellen. Sie sind vorerst in Sicherheit – falls das irgendjemand von sich behaupten kann, aber nichts ist gewiss. Wenn du ihnen helfen willst, dann hör mir gut zu. Geh jetzt nicht auf deinen Posten. Geh unter keinen Umständen heute Nacht auf der Eniel unter Deck.«
    »Aber ich muss die Pumpen bedienen!«
    »Das wirst du nicht tun.«
    »Aber Ignus … Aua!«
    Chadfallow hatte die Finger krampfhaft in Pazels Arm gekrallt. »Sprich niemals meinen Namen aus, Teerjunge!«, zischte er. Er schaute Pazel immer noch nicht an, aber seine Wut war unübersehbar. »Bin ich denn ein Narr? Seit einem halben Jahrzehnt? Antworte mir nicht! Sag mir nur eines: Bist du in Sorrophran an Land gegangen?«
    »J-ja.«
    »Dann weißt du, dass du nur einen Fuß aus dem Hafenviertel zu setzen brauchst, um Freiwild für die Flikker zu sein, und dass sie drei Goldmünzen für jeden Jungen und jedes Mädchen bekommen, die sie in die Vergessenen Kolonien schicken – zwanzig Tagesmärsche weit durch die slevranische Steppe?«
    »Ich habe von den Flikkern und von dieser schrecklichen Gegend gehört! Aber was hat das alles mit mir zu tun? Ich muss heute Nacht an Bord bleiben, und bei Sonnenaufgang stechen wir in See!«
    Chadfallow schüttelte den Kopf. »Denk immer daran, im Hafen können dir die Flikker nichts anhaben. Jetzt halt dich fern von mir, Pazel Pathkendle, und bleib vor allem an Deck! Von jetzt an sprechen wir kein Wort mehr miteinander.«
    Der Arzt wickelte sich fester in seinen Matrosenmantel und ging nach achtern. Pazel ahnte bereits das Verhängnis. Für einen Teerjungen, der überleben wollte, lautete das erste Gesetz: ›Sei flink!‹ – und Chadfallow zwang ihn, dieses Gesetz zu brechen. Noch hatte Kapitän Nestef nichts bemerkt, aber die Matrosen, die in Ausübung ihrer eigenen Pflichten umherhasteten, starrten ihn an, als sei er nicht bei Sinnen. Was fiel dem Jungen bloß ein? Er sah nicht so aus, als wäre er krank, er war nicht von der Rahnock gefallen, er stand einfach nur da.
    Pazel wusste, was geschehen würde, und es geschah auch prompt. Der Erste Maat, der seine Männer auf dem Oberdeck inspizierte, kam auf ihn zu und musterte ihn in heller Empörung.
    »Muketsch!«, brüllte er. »Bist du von allen guten Geistern verlassen? Hinunter mit dir, oder ich ziehe dir dein Ormalier-Fell über die Ohren!«
    »Oppo, Sir.«
    Pazel rannte auf die Hauptluke zu, hielt aber vor der Leiter inne. Er hatte sich Chadfallows Anordnungen noch nie widersetzt. Er sah sich nach einem anderen Teerjungen um – vielleicht konnte er die Arbeit tauschen? –, aber alle waren unter Deck, und dort war auch sein Platz. Bald würde man ihn vermissen, würde jemanden auf die Suche nach ihm schicken und ihn streng bestrafen, weil er die Anweisungen missachtet hatte. Wie sollte er sein Verhalten erklären? Er verstand sich ja selbst nicht mehr.
    Verzweifelt suchte er nach einem Versteck und entdeckte neben der Backbordreling eine ordentlich aufgerollte Kabeltrosse. Verstohlen stieß er die dicke Rolle um und machte sich daran, sie sorgfältig wieder aufzuwickeln. Jetzt konnte er wenigstens so tun, als wäre er beschäftigt.

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