Windkämpfer
Blicke waren kaum freundlicher. Chadfallow schlug die Augen nieder.
»Der Wille des Kaisers geschehe«, sagte er.
35
D ER S CHWUR AUF DIE W OLFSNARBE
6. Teala· 941
85. Tag nach Etherhorde
Im Westen erhoben sich Simjas olivgrüne Berge. Schon war die See mit Segeln geschmückt: Zehn, nein, elf Kriegsschiffe mit den Flaggen von Arqual, Ibithraéd und Talturi rasten wie die Chathrand dem Städtchen zwischen den zwei Großreichen entgegen. Wenn Taschas Hochzeit tatsächlich stattfand, würde sie gut besucht sein.
Der Schaggat Ness wurde durch die Frachtluke hinabgelassen und an ein Schott gekettet. Arunis forderte lautstark, der König müsse in seine eigene Kabine gebracht werden – aber niemand wollte den Zauberer mit dem Nilstein allein lassen. Drellarek stellte die Statue Tag und Nacht unter Bewachung. Weiter nach achtern stand auch Hercól Wache – gleich hinter den geschlossenen Türen des Gästesalons.
»Irgendwann wirst du dieses Buch zuklappen müssen, Tascha«, neckte er sie.
Tascha, die einen dicken Verband um den Hals trug, schaute mit einem Lächeln zu ihm auf. Dann schloss sie das Polylex. »Ich habe gerade über die mzithrinische Küche nachgelesen.
Hier steht, sie essen Käfer, in Sesamöl gebraten.«
»Unsinn!«, sagte Eberzam Isiq. »Und wenn schon, was kümmert es dich?«
»Ich muss das zu Ende führen, Papa«, sagte sie leise.
»Nein, das musst du nicht!«, riefen ein halbes Dutzend Stimmen im Chor.
»Du solltest dich schämen, Tascha!«, sagte Neeps. »Haben wir dir nicht versprochen, dich da rauszuholen?«
»Er wird mich töten«, sagte sie. »Ich bin nur noch am Leben, weil er auf diese Hochzeit angewiesen ist.«
»Auch Arunis macht Fehler«, wandte Pazel ein. »Ramachni hat ihn schon einmal getäuscht.«
Alle Augen wandten sich dem Magier zu. Der kauerte unter Syrarys’ Frisierkommode neben einem Korb, in dem Feltrup schlief. Die Ratte sah sehr gebrechlich aus. Auch Ramachni schien nicht in bester Verfassung. Sein Fell hatte viel von seinem Glanz verloren, und die wunderbaren Augen funkelten nicht mehr ganz so hell. Nun schaute er von seinem Patienten auf.
»Feltrup hat innere Blutungen«, sagte er. »Ich habe ihn in den Heilschlaf versetzt, aber das ist womöglich nur eine sanftere Art zu sterben. Wenn er wieder aufwacht, bleibt er am Leben – oder er wacht erst gar nicht mehr auf. Wer weiß? Aber hier ist noch jemand, dem wir unsere Aufmerksamkeit widmen müssen, Hercól.«
Er warf einen Blick über die Schulter. Auf der Bank unter den Galeriefenstern stand Niriviel, Sandor Otts Falke. Eine schwarze Haube bedeckte seinen Kopf, und sein Bein war mit einem Lederriemen an einen Haken auf dem Fenstersims gebunden. Hercól und Ramachni traten zu ihm, und der Tholjassaner nahm die Haube ab. Ramachni sprang auf die Bank.
»Willst du jetzt mit uns sprechen?«, fragte er.
»Ja«, antwortete der Vogel. Seine Stimme klang wie reißendes Segeltuch. »Aber was habt ihr mit mir vor?«
»Wir werden dir nichts zuleide tun«, sagte Ramachni. »Wir sind nicht deine Richter.«
Der Vogel kniff ein Auge zu und sah Hercól misstrauisch an. »Du hasst meinen Meister«, hielt er ihm vor.
»Nein«, sagte Hercól. »Vergiss nicht, er war auch einmal der meine. Aber ich bin über ihn hinausgewachsen, Niriviel. Nein, nicht, was die Waffenkunst angeht – darin werde ich hoffentlich niemals auf die Probe gestellt. Mein Herz ist über ihn hinausgewachsen, über den Käfig, in den Ott am liebsten alle Herzen sperren möchte. Über den Käfig, ohne den er nicht leben kann – ich meine die Liebe zu Arqual.«
»Das ist kein Käfig!«, kreischte der Vogel in plötzlicher Empörung und schlug mit den Flügeln. »Arqual ist die Hoffnung des ganzen Volkes! Es bringt Sicherheit und Reichtum, Frieden und Ordnung! Es ist unsere Mutter und unser Vater! Arqual ist die Krone dieser Welt!«
»Aber Arqual ist nicht die Welt«, wandte Ramachni ein. »Alifros ist riesig, und viele seiner Bewohner lieben ihre Heimat ebenso innig wie du die deine.«
»Eines Tages werden sie alle Arqualier sein«, sagte der Falke. »Und ihr seid Verräter! Man wird euch nach Licherog in die Steinbrüche verbannen!«
»Als ich dich von den Gärten des Lorg aus beobachtete«, sagte Tascha und trat näher, »hielt ich dich für die freieste Seele überhaupt. Aber das war ein Irrtum, Niriviel. Du weißt gar nicht, was Freiheit ist.«
»Nimm mir diesen Beinriemen ab, und ich werde dir zeigen, was Freiheit ist.«
»Das
Weitere Kostenlose Bücher