Windkämpfer
Handteller war zu einem Wolf geworden, zu dem Wolf, und es war ganz unverkennbar der gleiche wie bei den anderen.
»In dem Roten Wolf lebte ein Geist«, sagte Ramachni. »Ihr habt das Geheul gehört, das war seine letzte Warnung, bevor das Feuer seine Gestalt zerstörte. Aber wessen Geist war das?
Ihr solltet versuchen, das herauszufinden.«
Tascha betrachtete immer noch ihre Narbe, die zugleich alt und neu war. »Ich glaube, ich weiß es«, sagte sie endlich. »Ich denke, ihr Name war Erithusmé.«
»Erithusmé!«, wiederholte Ramachni. »Die größte Magierin seit der Zeit des Weltensturms? Was bringt dich auf diesen Gedanken?«
»Ich weiß nicht so recht. Die Mutter Prohibitor hat mir einen Teil ihrer Geschichte erzählt, und seither suche ich im Polylex nach dem Rest – das Buch ist unmöglich! Aber ich bin sicher, dass sie es war, Ramachni. So sicher, als wäre sie selbst zu mir gekommen und hätte sich zu erkennen gegeben.«
Hercól hob Taschas Hand und fuhr nachdenklich mit den Fingern über die verwandelte Narbe. »Wir Tholjassaner sind unmittelbare Nachbarn der Mzithrini«, sagte er. »Wir kennen ihre Legenden besser als ihr im Osten. Ihre alten Seher wussten noch, was Arunis vergessen hat: Der Nilstein ist niemandem lange zu Diensten. Und da er unzerstörbar ist, muss die Welt mit allen Mitteln vor ihm geschützt werden. Wir wissen, dass Erithusmé versuchte, ihn dem Gletscherwurm Eplendrus aufzudrängen, einer Bestie im Herzen des Tzular-Gebirges im hohen Norden. Und wir wissen, dass sie scheiterte. Der Stein trieb Eplendrus in den Wahnsinn, der Wurm warf sich selbst so oft gegen die Gebeine seiner Vorfahren, bis er tot war. Und wir wissen, dass die Zauberin ihre Tat bereute, den Nilstein zurückholte und nach Süden fuhr, in die endlosen Weiten der Nelluroq. Dort suchte sie abermals ein unauffindbares Versteck, doch sie scheiterte wieder.
Nun unternahm sie einen letzten Versuch, den Stein verschwinden zu lassen. Kein Mythos erzählt, was sie tat oder wohin sie ihn brachte; es war das große Geheimnis ihres Lebens. Doch seit heute wissen wir es. Sie schloss ihn in ein Drachenei ein und verbarg das Ei in der Statue des Roten Wolfs. In den alten Geschichten wird seine rote Farbe immer auf das Blut eines Lebewesens zurückgeführt. Ich glaube, Tascha hat Recht: Es war Erithusmés eigenes Blut. Und ich glaube auch, dass sie nicht nur den Nilstein verstecken wollte, sondern auch hoffte, den Kampf aufzunehmen, der unvermeidlich war, falls jemand abermals versuchte, den Stein zu gebrauchen.
Tausend Jahre lang hielt der Geist im Inneren des Wolfs den Nilstein in sicherer Verwahrung. Er bewog die Könige des Mzithrin, um ihn herum eine Zitadelle zu bauen, einen Ort der Stille und des Vergessens, zu dem niemand Zutritt hatte. Aber nicht alle hatten den Stein vergessen. Der Schaggat belagerte die Zitadelle und raubte den Wolf, und vielleicht war es derselbe Schutzgeist, der sein Schiff an die Geisterküste und in den Untergang führte und die See-Murten veranlasste, ein neues Versteck für den Wolf zu suchen.
Das sind natürlich alles nur Vermutungen. Aber auf den letzten Umstand würde ich mein Leben verwetten: Als der Rote Wolf zerstört wurde, war es die letzte Tat des Geistes, uns zu zeichnen, auf dass wir einander fänden und uns zusammenschlössen. Ich bin überzeugt, dass wir auserwählt sind, den Nilstein ein weiteres Mal den Händen des Bösen zu entreißen.«
»Aber wenn es nun noch mehr von uns gibt?«, fragte Pazel. »Das Eisen ist überallhin geflossen. Sollten wir nicht in Erfahrung bringen, wer sonst noch ein Wolfsmal trägt?«
»Gewiss«, sagte Ramachni. »Es könnte durchaus mehr Verbündete geben, als wir denken. Aber ich möchte euch auch gleich davor warnen, dem äußeren Schein zu trauen.«
»Niemals!«, erklärte Eberzam Isiq im Brustton der Überzeugung. »Oder vielleicht sollte ich besser sagen: niemals wieder!«
»Sie haben mich nur zur Hälfte verstanden, Exzellenz«, sagte der Magier. »Wir haben in einigen Fällen den Falschen vertraut, das ist wahr. Aber in diesem Kampf wäre es ebenso kostspielig, einen Freund zu übersehen, so seltsam oder gar verdächtig er auch erscheinen mag. Noch kostspieliger vielleicht, denn ich fürchte, wir werden bis zum Ende dieser Geschichte jede nur erdenkliche Hilfe brauchen.«
»Lady Oggosk ist keine Freundin von Arunis«, sagte Tascha. »Ich weiß noch immer nicht, ob sie auf unserer Seite steht, aber damals in Ormael zitierte sie so etwas
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