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Winter

Winter

Titel: Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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sitzen. Mein Gesicht brannte wie Feuer und das Beben meiner Unterlippe war ein deutliches Signal: Versuchte ich jetzt etwas zu sagen, würden die Tränen in meinen Augen zu strömen anfangen und über meine Wangen laufen.
    Ich konnte einfach nicht mehr. Der Streit von vorhin, nachdem ich gesagt hatte, ich würde auf dem Hof schlafen, war zu viel gewesen.
    Wenn man als Teenager etwas wirklich will und bereit ist, alles dafür zu tun, gewinnt man eigentlich fast immer. Das hatte ich bei den Robinsons gelernt und in der Schule. Die Tobsuchtsanfälle, die ich den Robinsons geliefert hatte, waren volles Rohr gewesen. Ein Aufeinandertreffen der Hell’s Angels und der schwul-lesbischen Regenbogenparade war nichts dagegen. Allein der Gedanke daran war mir peinlich. Ich schämte mich sogar dafür. Aber am Ende hatte ich bekommen, was ich wollte. Ich war wieder hier. Wieder daheim. Auf mich gestellt. Und von der Schule abgegangen.
    Ich hatte gedacht, wenn ich erst hier wäre, würde alles bestens sein. Meine Probleme wären ein für alle Mal vorbei.
Von wegen. Ich führte mich auf wie bei den Robinsons. Es hatte keine zwei Stunden gedauert, seit ich aus dem Zug gestiegen war, und ich war wieder im Land der Tobsuchtsanfälle gelandet.
Mag sein, dass es bessere Methoden gibt um sich durchzusetzen, nur die kannte ich nicht. Niemand hatte sie mir beigebracht. Es war einer dieser Momente, in denen ich es besonders bitter fand, keine Eltern zu haben. Ich hatte das Gefühl, ohne Wegweiser, ohne Straßenkarte aufgewachsen zu sein. Wie lösten andere ihre Probleme, wie überzeugten sie jemanden davon, ihnen etwas zu erlauben? Die Robinsons zählten in Wirklichkeit gar nicht. Sie waren schrecklich alt und sie sprachen kaum miteinander, geschweige denn mit mir. Bei ihnen hatte man den Eindruck, so wie sie lebten, hatten sie ohnehin alles, was sie wollten. Nicht gerade lustig für ein Kind. Aber sie hatten ihre Antiquitäten und ihr Auto und ihre Teekränzchen und den Tennisclub und Mrs Robinson verbrachte ihre Zeit am liebsten mit Einkäufen. Sie benötigten keine Ratschläge, wie man Probleme löste, weil es für sie schon ein Riesenproblem war, wenn sie den Müllwagen versäumt hatten oder auf der Polsterung ihres Audis einen Fleck entdeckten.
Als ich beschlossen hatte, von der Schule abzugehen und nach Warriewood zurückzukehren, reagierten sie nach dem Motto: »Was ist denn hier los? Wer ist dieser Alien in unseren vier Wänden.«
Die Szene mit Sylvia war wie ein Déjà-vu-Erlebnis mit den Robinsons.
»Ich möchte auf dem Hof schlafen.«
»Das geht nicht. Es sind keine Möbel da.«
»Na und?«
»Hör mal, Winter, das ist unmöglich. Es gibt nicht einmal ein Bett.«
»Dann schlaf ich eben auf dem Fußboden.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Es ist mir scheißegal, ob das lächerlich ist oder nicht.«
»Wir haben ein hübsches Zimmer für dich vorbereitet. Das Bett ist frisch bezogen und das Abendessen ist auch gleich fertig.«
»Noch einmal: Ich schlafe nicht hier. Ich schlafe auf dem Hof.«
»Du kannst dort nicht allein schlafen. Bleib erst einmal ein paar Tage bei uns, dann sehen wir weiter.«
An dieser Stelle hob ich meine Tasche auf und ging zur Tür.
»Winter, wo willst du hin?«
»Na, wohin wohl.«
»Nein, hör mal, warte. Das ist doch verrückt! Ehrlich, Winter, so geht das nicht. Morgen Früh soll Ralph ein Bett für dich rüberbringen und dann kannst du meinetwegen eine Nacht lang dort kampieren.«
»Ich schlafe heute Nacht dort und überhaupt jede Nacht. Ich bin wieder hier, für immer.«
Ich öffnete die Tür und ging in die kühle Abendluft hinaus. Draußen war es dunkel. Richtig finster. Hinter mir konnte ich Sylvia hören: »Ralph, so tu doch was! Halt sie auf!«
Da klinkte ich aus. Ich stand in der Finsternis und schrie das Haus an. Schrie die eine Sache, die ich mir vorgenommen hatte nicht zu sagen. Die eine Sache, die unverzeihlich war.
»Das Anwesen gehört mir, ich tue hier, was ich will!«
Drinnen war es still. Ich fragte mich, ob ich die beiden verschwinden hatte lassen. In dieser Finsternis war alles möglich.
Dann kam Ralph heraus. Er wollte meine Tasche nehmen, ich ließ ihn aber nicht. Ich wich vor ihm zurück, mindestens sechs Schritte.
»Ich wollte sie bloß für dich rübertragen«, sagte er milde.
»Ich kann sie selbst tragen.«
»Na gut. Ich hol jetzt den Pritschenwagen und fahr ein Bett hinüber.«
»Ich helfe dir.«
Das war gar nicht so einfach. Wir mussten den Pritschenwagen aus einer Garage holen,

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