Winter
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Auch dieses Fest laà los, mein Herz. Wo sind
Beweise, daà es dir gehört? Wie Wind
aufsteht und etwas biegt und etwas drängt,
so fängt in dir ein Fühlen an und geht
wohin? drängt was? biegt was? Und drüber übersteht,
unfühlbar, Welt. Was willst du feiern, wenn
die Festlichkeit der Engel dir entweicht?
Was willst du fühlen? Ach, dein Fühlen reicht
vom Weinenden zum Nicht-mehr-Weinenden.
Doch drüber sind, unfühlbar, Himmel leicht
von zahllos Engeln. Dir unfühlbar. Du
kennst nur den Nicht-Schmerz. Die Sekunde Ruh
zwischen zwei Schmerzen. Kennst den kleinen Schlaf
im Lager der ermüdeten Geschicke.
Oh wie dich, Herz, vom ersten Augenblicke
das Ãbermaà des Daseins übertraf.
Du fühltest auf. Da türmte sich vor dir
zu Fühlendes: ein Ding, zwei Dinge, vier
bereite Dinge. Schönes Lächeln stand in
einem Antlitz. Wie erkannt
sah eine Blume zu dir auf. Da flog
ein Vogel durch dich hin wie durch die Luft.
Und war dein Blick zu voll, so kam ein Duft,
und war es Duft genug, so bog ein Ton
sich dir ans Ohr ⦠Schon
wähltest du und winktest: dieses nicht.
Und dein Besitz ward sichtbar am Verzicht.
Bang wie ein Sohn ging manches von dir fort
und sah sich lange um, und sieht von dort,
wo du nicht fühlst, noch immer her. O daÃ
du immer wieder wehren muÃt: genug,
statt mehr ! zu rufen, statt Bezug
in dich zu reiÃen, wie der Abgrund Bäche?
Schwächliches Herz. Was soll ein Herz aus Schwäche?
HeiÃt Herz-sein nicht Bewältigung?
Dass aus dem Tier-Kreis mir mit einem Sprung
der Steinbock auf mein Herzgebirge spränge.
Geht nicht durch mich der Sterne Schwung?
Umfaà ich nicht das weltische Gedränge?
Was bin ich hier? Was war ich jung?
Werke II , 95-98
Sandwiches-Männer
Paris, St-Etienne-du-Monde
Mandarinenrot, köstlich vor dem nachmittägigen Wintergrau in der Mauerkreuzung des Pantheons sah ich sie stehn: abgestellte Tafeln von hommes-sandwiches , hochbeinig wie Mücken. Das Grau lieà mich nach der Façade von St. Etienne hinüberblicken, dort auf dem wundervollen Instrument dieses Bauwerks spielte es erst in allen seinen inneren Tönen weiter. Bettlerinnen auf den Stufen, eine sitzend ganz tief, eine mit einem kleinen Kind, auf halber Höh, oben am Eingang eine Alte auf ihren Krücken hängend. Ich trat ein. Und da waren sie das Erste, das ich sah, die Männer zu jenen Tafeln drauÃen. Ganz hinten angereiht, zu klein und zu groÃ, in den lichtblau gewesenen Röcken, fünf, sechs nicht mehr aufräumbare Köpfe, wie
von unbeschäftigten Hunden aus Mülleimern wieder heraufgesucht und versuchsweise auf die krummen roten Tuchkragen dieser furchtbaren Uniformen aufgesetzt, damit sie bis auf die Knochen abgetragen würden. Die Musik nahm einen Anlauf und erschien oben irgendwo in den Wölbungen; hinter dem schönen schloÃhaften steinernen Lettner glänzte es von Gold und Lichtern, bestrahlter Rauch verteilte sich langsam dazwischen hin, Priester bewegten sich umständlich in einer von der Architektur und den Schatten übertriebenen Entfernung, das Rot der Chorknaben erneute sich von Zeit zu Zeit, und wer, verwirrt von soviel Vorgang, den Blick weggehoben hatte, der fand sich, durch Bogen und Pfeiler hin, dem tiefleuchtenden Dunkel eines alten Glasfensters ausgeliefert. Und das alles und immer das Sich-oben-halten der Musik: wie sollte das nicht auch in diesen Herzen erregend sein, daà es aus ihnen aufstieg und Gefühle wärmte und Gedanken zu sich brachte ⦠Gefühle wofür? Wasfür Gedanken? Erinnerungen. Aber was sind Erinnerungen ohne Zukunft? Der Eine, GroÃe, sah gar nicht so schlecht aus, ein Charakterkopf, wie man früher gesagt haben würde, die Nase fuhr so schön unaufhörlich aus der Stirn heraus und wie sich Mund und Bart drunter zusammenordnete, wie auf einer römischen Büste. Man möchte fragen: Schicksal, kannst du dich noch erinnern, was du eigentlich da vorhattest? War's auf keine Weise mehr zu erreichen? Schäme dich, Schicksal, du müÃtest am Ende doch Mittel haben â. Er fühlt, daà ihn jemand betrachtet, aber ich weiche aus, er findet mich nicht in der Menge und steht wieder da, zu groÃ, in seiner Uniform aus sauergewordenem Lichtblau. Lieber Gott und einer hat den staubigen Kopf hinuntergezogen, ein Kleiner, menschlich anzufühlen, in die dazugehörige Hand. Was mag in
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