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Winterland

Winterland

Titel: Winterland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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hier.«
    Er dachte an das Verhör mit dem Wachmann zurück. Immer wieder hatte er Richardsson gefragt, wo genau Hirschmann gestanden hatte, als Richardsson hereinkam, welchen Weg Richardsson gegangen war und wie Hirschmann sich bewegt hatte.
    Plötzlich fiel ihm ein, dass er Richardsson nicht gefragt hatte, ob Hirschmann etwas von dem geheimen Regal genommen hatte. Oder etwas dorthin gelegt hatte. Das musste an seiner persönlichen Einbindung in den Fall gelegen haben. Die aufwühlenden Umstände. Daran, dass er, Kriminalkommissar Erik Winter, trotz allem auch nur ein Mensch war.
    Jetzt lernte er auf neue Weise, wie Menschen von aufwühlenden und schrecklichen Geschehnissen in ihrer eigenen Umgebung beeinflusst werden. Bei diesem Fall war Winter nicht nur ein Beobachter. Nicht nur ein Außenstehender, wie sonst. Das war sowohl eine Schwäche als auch eine Stärke. Er spürte sie jetzt.
    »Es ist jetzt ein paar Minuten nach eins«, sagte er und drehte sich zu Ringmar um, der am anderen Ende der Küche stand. Winter sprach lauter. »Die beiden Typen an der Spülmaschine haben sich die Hände abgetrocknet und sind nach Hause gegangen. Der Oberkellner ist vor zwanzig Minuten gegangen. Dinter vor einer halben Stunde. Noch eine Stunde, bis Richardsson kommt. Hirschmann ist allein hier. Was macht er?«
    »Soll ich jetzt noch eine Stunde hier stehen und Maulaffen feilhalten?«, rief Ringmar. »Ich meine, ehe ich meinen Auftritt habe?«
    »Bleib, wo du bist«, rief Winter zurück.
    Er dachte nach. Hirschmann ist allein. Er ist nicht allein. Er ist allein. Er ist nicht allein. Er ist allein. Nehmen wir mal an, er ist allein. Er hört etwas. Jemand kommt herein, dort, wo Ringmar steht. Es ist jemand, den er kennt. Jemand geht durch die Küche. Hirschmann sagt etwas und bekommt eine Antwort. Nimmt er die Calvadosflasche vom Regal? Oder steht sie bereits auf der Arbeitsfläche vor ihm?
    Winter besah sich die Fläche. Ob seine Leute kontrolliert hatten, wo die Flasche im Laufe des vergangenen Tages gestanden haben konnte?
    Er wandte sich wieder seiner Rekonstruktion der Nacht zu. Hirschmann steht mit dem Besucher zusammen. Der Besucher ist gekommen, um ihn zu ermorden. Bisher hat er sich noch nicht als Gefahr für Hirschmann entpuppt. Der Meister fühlt sich sicher. Steht er neben einem Kollegen? Einem alten Freund? Jemandem vom Personal? Es ist jemand, den er kennt oder wiedererkennt. Es ist kein Einbrecher.
    Es könnte ein Einbrecher sein, denkt Winter jetzt, aber einer mit einem Schlüssel. Die Schlösser weisen keinen Schaden auf. Der Fremde schleicht hinter Hirschmann her, als der im Kühlraum ist, und überrascht ihn dort. Hirschmann hat keine Chance. Nur ein paar Sekunden, dann ist es vorbei.
    Es ist wie ein Schlachten.
    Winter rief sich wieder das Bild vor Augen: Hirschmann spricht mit jemandem, den er kennt. Sie stehen hier. Aus irgendeinem Grund geht Hirschmann in den Kühlraum. Will er etwas holen? Will er etwas kontrollieren? Hatte er das nicht schon getan? Ging er denn um diese Zeit noch einmal in den Kühlraum? Nein. Danach hatte Winter sich erkundigt. Aber in dieser Nacht ging Hirschmann noch einmal hinein. Sein Besucher kam mit. Oder folgte ihm. Warum sind sie da reingegangen?, fragte sich Winter wieder. Was wollte Hirschmann holen? Oder kontrollieren?
    Oder hinlegen.
    Vielleicht hatte er etwas dort hinlegen wollen.
    Gibt es eine aktuelle Inventarliste vom Kühlraum? Das müssen wir checken. Gibt es da drinnen etwas, was vorher nicht da war? Vor dem Mord? Hat der Mörder es mitgenommen? War das der Grund dafür, dass Hirschmann ermordet wurde?
    Ein Wust von Fragen. Winter lebte ein Leben voller Fragen und ohne Antworten. Das ganze Leben war eine einzige Frage. Die große Frage lautete »Warum?«, das war die ewige Frage, die fast niemand beantworten konnte.
    Er sah auf. Ringmar stand noch hinten an der Tür. Er schien in seine eigenen Gedanken versunken.
    Plötzlich verlor Winter jedes Interesse daran, hineinzugehen und sich im Kühlraum auf den Stuhl zu setzen. Es war ein anderer Stuhl. Der, auf dem Hirschmann gesessen hatte, lag in einer Plastiktüte oben bei der Spurensicherung.
    »Du bist jetzt nicht mehr Richardsson«, rief er quer durch die Küche. »Du bist jetzt wieder Kommissar Ringmar.«
    Ringmar kam zum Kühlraum. Winter sah seinen bleichen Schatten auf dem Fußboden. Hirschmann hatte hier gestanden und einen anderen Schatten über den Fußboden auf sich zugleiten sehen. Der Fußboden hatte den Schatten

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