Im Bann des Highlanders
1. Kapitel
Vom Panoramafenster der Werbeagentur Lincoln & Fletcher aus hatte man eine atemberaubende Sicht über die Londoner City, sofern die Stadt nicht im dichten Nebel lag. Joan Harris jedoch hatte keinen Blick dafür, sie starrte zu einem fiktiven Punkt in der Ferne. Wie häufig in letzter Zeit fühlte sie sich ausgelaugt, verwirrt und erschöpft.
Sie zuckte leicht zusammen, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, drehte sich jedoch nicht um.
»Hast du heute Nacht wieder schlecht geschlafen?« Ted Lincolns Stimme klang besorgt. »So kann es mit dir nicht weitergehen.«
Joan seufzte kaum wahrnehmbar, dann wandte sie sich zu ihrem Chef um, strich sich ihre feuerrote wallende Mähne zurück und setzte ein Lächeln auf. »Mir ist selbst klar, dass es so nicht weitergehen kann, Ted. Ich wage kaum noch, die Augen zuzumachen, aus Angst, wieder einen dieser grässlichen Träume zu haben.«
Ted nahm sie beim Arm, führte sie zu der Besuchercouch und drückte sie sanft ins Polster. Apathisch und mit geschlossenen Augen lehnte sich Joan zurück und registrierte am Rande, wie sich Ted an der kleinen Bar zu schaffen machte.
Erst als er ihr energisch ein Glas Scotch in die Hand drückte, öffnete Joan die Augen wieder und blickte in Teds besorgte Miene. Er hockte auf der Kante des niedrigen Glastisches, auf dem einige Prospekte über die Angebote der Agentur ausgebreitet lagen.
»Ich kann dir sagen, was dir fehlt«, sagte er und forderte Joan mit einer Handbewegung auf, einen Schluck zu trinken. »Du bist völlig überarbeitet, die letzten Wochen und Monate waren einfach zu viel für dich. Du bist die Erste, die morgens im Büro ist und die Letzte, die abends geht.«
Langsam hob Joan das Glas an die Lippen und trank einen winzigen Schluck. Der Whisky brannte in ihrer Kehle, doch gleichzeitig spürte sie eine wohlige, entspannende Wärme in sich aufsteigen.
»Wenn ich nicht so ehrgeizig wäre, hättest du mich nicht zu deiner persönlichen Assistentin gemacht.«
Ted nickte zustimmend. »Das ist richtig, aber du hast dir zuviel zugemutet, und das Resultat ist, dass du schlecht schläfst und in deinen Träumen merkwürdige Stimmen hörst.«
»Es ist nur eine Stimme!« Heftig setzte Joan das Glas auf den Tisch und sah ihren Chef herausfordernd an. »Außerdem glaube ich nicht, dass diese Träume mit meiner Arbeit zusammenhängen.«
»Aber ich glaube das«, erwiderte Ted, und seine Brauen zogen sich ärgerlich zusammen. »Und deshalb gehst du jetzt nach Hause und ruhst dich ein paar Tage aus, denn ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass du völlig zusammenbrichst.«
Joans grüne Augen weiteten sich vor Schreck. »Aber das ist unmöglich! Was ist mit der Präsentation morgen? Du kannst mich doch gerade jetzt nicht nach Hause schicken, ich habe sehr viel Energie auf die Ausarbeitung verwendet. Um diesen Kunden für uns zu gewinnen, ist es wichtig für ...«
Mit einer kurzen Geste schnitt er ihr das Wort ab. »Die Präsentation kann ich alleine übernehmen, selbstverständlich werde ich deine Mitarbeit lobend erwähnen. Glaub nicht, dass ich dich gerne nach Hause schicke, aber deine Gesundheit ist mir im Moment wichtiger als unsere Kunden.«
Ungläubig schüttelte Joan den Kopf. Da hatte sie sich wochenlang Gedanken darüber gemacht, wie man am effektivsten Salzstangen, Kartoffelchips und Erdnüsse im Paprikamantel so präsentieren konnte, dass jeder sie haben wollte ... und nun sollte sie nicht dabei sein!
»Ich werde nicht gehen.« Joan stand langsam auf, reckte sich und blitzte Ted, der noch immer auf der Tischkante saß, wütend an. »Du gestattest mir, dass ich selbst entscheide, wann ich mich ausruhe und wann nicht?«
In diesem Augenblick brach die Sonne kurz durch die graue, tiefhängende Wolkendecke und traf auf Joans Haar, das nun so rot glänzte, als würde es brennen. Schon im nächsten Augenblick war der Zauber wieder vorbei.
Auch Ted erhob sich, seinen Gesichtsausdruck konnte man nur als bekümmert bezeichnen. Seit einem Jahr arbeitete die siebenundzwanzigjährige Joan Harris in seiner Agentur, und ihm war schnell klar geworden, welches Juwel er erworben hatte. Nur nach wenigen Wochen hatte er sie zu seiner persönlichen Assistentin auserkoren.
Die beiden verband ein sehr freundschaftliches Verhältnis, und obwohl Ted Junggeselle war und mit seinen fünfzig Jahren sehr gut aussah, war es zwischen ihnen nie zu einem Verhältnis gekommen, was einige Mitarbeiter der Agentur
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