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Wintermädchen

Wintermädchen

Titel: Wintermädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laurie Halse Anderson
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sitze ich einfach nur da und schaue zu, wie Dad ausrastet. Er kann mich nicht mal mehr bestrafen. Was soll er schon tun? Mir Hausarrest erteilen? Mir verbieten zu telefonieren?
    Von nun an muss ich mit dem Bus zur Schule fahren.
    Emmas Fußballsaison geht zu Ende, und nun spielt sie Basketball. Ich übe mit ihr in der Auffahrt. Sie darf dreimal dribbeln, bevor sie abwirft. Meine Aufgabe ist es, den Ball zurückzuholen.
    Sie redet pausenlos: über die Kinder in ihrer Klasse, das zuckende Auge ihres Lehrers, die Fischstäbchen in der Cafeteria, den Gestank in den Toiletten, die Proben fürs Winterkonzert. Sie möchte gern Skifahren lernen und Eislaufen und Snowboarden. Und mit einem Schneemobil zu fahren sieht auch aus, als würde es Spaß machen. Ich soll Dad mal überreden, dass er uns eins kauft. Sie fragt mich, ob ich an den Weihnachtsmann glaube und ob er der Cousin von Jesus sei, weil sie sich sicher ist, dass zwischen den beiden irgendeine Verwandtschaft besteht, auch wenn sie kein bisschen so aussähen. Als ihre Zähne vor Kälte zu klappern beginnen, mache ich ihr eine heiße Schokolade. Ich bin so standhaft, dass nicht ein einziges winziges Zuckerkörnchen auf meiner Zunge landet.
    Ich muss ihr Geschnatter mal aufnehmen, damit ich’s mir anhören kann, wenn sie nicht daheim ist.
    ***
    Seit zwei Wochen hinterlässt mir Mr s Parrish jeden Tag eine Nachricht auf dem AB . Sie wünscht/bittet/verlangt/fleht/ersucht mich/hat es doch wohl verdient/würde alles darum geben, mit mir zu reden. Nur zehn Minuten. Es ist wichtig/entscheidend/von sehr großer Bedeutung/unumgänglich/unbedingt erforderlich/lebensnotwendig, dass ich sie zurückrufe. Einmal sagt sie, dass meine Mutter ebenfalls dabei sein sollte. Beim nächsten Anruf soll ich mir über meine Mutter keine Gedanken machen, Hauptsache, ich rufe sie zurück.
    In der Schule wird behauptet, Cassie sei an einer Überdosis Heroin gestorben. Ich weiß nicht, ob ich die Wahrheit erzählen soll. Wie bleibt man lieber in Erinnerung? Als das Mädchen, das mit der Nadel im Arm starb, oder als das Mädchen, das sich totkotzte?
    Die Mitarbeiter des Jahrbuchs streiten darüber, wie viel Platz ihr Nachruf beanspruchen soll. Diejenigen, die sie kannten, finden eine ganze Seite angemessen. Diejenigen, die den Gerüchten ihrer Todesumstände glauben, wollen höchstens eine halbe Seite, oder ihre Eltern könnten doch eine Viertelseite bezahlen, damit Cassies Bild zusammen mit den Anzeigen vom Baumarkt, der Versicherungsgesellschaft und dem Blumenladen erscheinen kann.
    Seit zwei Wochen hinterlasse ich Elijah jeden Tag eine Nachricht. Ich sage ihm, dass ich den Schrottplatz gefunden hätte, aber er ruft nicht zurück. Bestimmt ist ihm klar geworden, wie kaputt ich bin, was schlecht ist, weil er mir mehr über Cassies letzten Tag erzählen soll. Vielleicht komme ich dadurch drauf, wie ich sie abschütteln kann.
    Denn sie ist nicht weg. Die Beerdigung hat sie sogar noch stärker und wütender gemacht.
    Jeden Abend öffnet Cassie ihre Pandora-Büchse und lässt sich in mein Zimmer kutschieren. Sie bleibt nicht mehr in den Schatten. Sie greift an. Sobald die Schlaftabletten meine Arme und Beine an die Matratze fesseln, öffnet sie mir den Schädel und reißt die Drähte raus. Sie brüllt mir Löcher ins Hirn und kotzt mir Blut in den Hals.
    Da ist es leichter, die Schlaftabletten wegzulassen, abzuwarten, bis Dad und Jennifer schnarchen, und drei oder vier Stunden auf dem Stepper zu verbringen. Wenn ich dann endlich ins Bett krieche, riecht mein Kopfkissen nach karamellisiertem Zucker, Gewürznelken und Ingwer.
    Ich wiege 44, 5 Kilo.
    Ich wiege 4 4 Kilo.
    Ich schärfe Oma Marrigans hübsches Messer und verstecke es unter meiner Matratze, für alle Fälle. Ich wiege 43, 7 Kilo.
    In manchen Nächten schlafe ich überhaupt nicht. Nach dem Training setze ich mir Kopfhörer auf, drehe die Musik auf und fange an zu stricken, Masche für Masche, während ich vor und zurück wippe. Letztes Jahr begann es als ein Schal, dann aber wuchsen dem Ding Flügel, als ich nicht aufpasste, und es verlangte, als Stola bezeichnet zu werden, was ich tat, aber während es im Korb lag, wuchs es zu einer Decke aus Hunderten von Farben und Tausenden von Geschichten heran. Ich benutze keine Wolle aus dem Laden. Stattdessen kaufe ich alte Pullover aus Secondhandläden, je älter, desto besser, und ribbele sie auf. Ganze Länder voller Frauen stecken in diesem Schal/dieser Stola/dieser Decke. Bald wird das Ding

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