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Wintermaerchen

Wintermaerchen

Titel: Wintermaerchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Helprin
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diesem Augenblick schlug der fliehende Mann von unten mit der Faust so heftig gegen den Riegel des Tores, dass dieser mit einem hellen, metallischen Geräusch zurückschnellte. Gleich darauf warf er das Tor krachend hinter sich ins Schloss, zog eine kurze, dicke Eisenstange aus der Tasche und hämmerte damit atemlos so lange auf dem Riegel herum, bis er derart verbogen war, dass er sich nicht mehr bewegen ließ. Der Mann wandte sich um und rannte die Straße hinauf. In seinen Augen lag ein gehetzter Ausdruck.
    Seine Verfolger hatten schon den Zaun erreicht, als er auf einer gefrorenen Pfütze ausrutschte und schwer stürzte. Er überschlug sich, prallte mit dem Kopf gegen das Straßenpflaster und blieb reglos liegen. Mit klopfendem Herzen sah der Hengst, dass sich die zwölf Männer wie ein Trupp Soldaten gegen das Tor warfen. Fast wirkten sie wie die Karikatur einer Verbrecherbande. Ihre Gesichter waren irgendwie schief, sie hatten allesamt buschige, zusammengewachsene Augenbrauen, ein fliehendes Kinn und Nasen, die man ihnen wieder angenäht hatte – jedenfalls sahen sie so aus. Der tiefe Haaransatz auf ihrer Stirn war wie ein grotesker Gletscher, der sich weit, allzu weit talwärts geschoben hatte. Grausamkeit ging von ihnen aus wie elektrische Funken, die bläulich knisternd die Lücke zwischen zwei Polen überspringen. Einer zückte seine Pistole und zielte damit auf den Gestürzten, aber ein anderer, offenbar der Anführer, befahl: »Nein, nicht so! Jetzt haben wir ihn! Wir machen ihn langsam mit dem Messer fertig.« Er gab den Männern einen Wink. Sofort machten sie sich daran, über das Tor zu klettern.
    Hätte der Hengst nicht seinen Kopf hinter der Hausecke hervorgestreckt und zu ihm herübergeblickt, wäre der Mann gewiss liegen geblieben und hätte aufgegeben. Er hieß übrigens Peter Lake. Mit lauter Stimme sagte er zu sich selbst: »Du musst ganz schön in der Klemme stecken, wenn dich ein Pferd so mitleidig ansieht, du Dummkopf!« Diese Worte schienen ihm neue Kraft einzuflößen, denn er richtete sich auf und rief: »He, Pferd, komm her!« Die zwölf Gangster, die vom Tor aus das Pferd nicht sehen konnten, dachten sicherlich, dass Peter Lake entweder den Verstand verloren hatte oder noch einmal versuchte, sie auszutricksen.
    »Pferd!«, rief Peter wieder. Der Hengst zog seinen Kopf zurück. »Komm hierher, Pferd. Bitte!« Hinter Peter erreichten die ersten Verfolger die ihm zugewandte Seite des Tores. Peter spreizte die Arme. »Komm!«, sagte er wieder flehend zu dem Pferd. Die Gangster hatten es nicht mehr eilig. Auf der Straße war keine Menschenseele zu sehen, und Peter Lake machte keinerlei Anstalten zu fliehen. Jetzt war er ihnen sicher!
    Peters Herz klopfte so sehr, als wollte es ihm die Brust sprengen. Er kam sich lächerlich vor wie ein mechanisches Spielzeug, dessen Bewegungen außer Kontrolle geraten waren, weil irgendein Rädchen den Dienst versagte. »O mein Gott!«, entfuhr es ihm in seiner Verzweiflung. »Oh, Jesus, Maria und Joseph, schickt mir eine schwere Dampfwalze!« Aber natürlich geschah kein derartiges Wunder. Alles hing jetzt von dem Pferd ab.
    Mit einem Satz übersprang der weiße Hengst die gefrorene Pfütze und war bei Peter Lake. Er senkte den Kopf, damit der Mann seinen schlanken Hals umfassen konnte. Gleich darauf saß Peter auf dem Rücken des Pferdes. Er hatte es wieder einmal geschafft! Auch die Pistolenschüsse, die hinter ihm krachten, konnten das Triumphgefühl, das sich seiner bemächtigte, nicht dämpfen. Schon hatte der Hengst auf der Hinterhand kehrtgemacht, sich leicht geduckt wie zum Sprung und seine Lungen mit der kalten Winterluft gefüllt. Mit einem gewaltigen Satz schnellte er nach vorn und fiel in einen rasanten Galopp. Peter wandte sich übermütig lachend nach seinen düpierten Verfolgern um. Einige von ihnen machten ein paar Schritte, als wollten sie ihm nachlaufen. Andere, unter ihnen auch Pearly Soames, standen rücklings an das eiserne Tor gelehnt und schossen fluchend ihre Pistolen leer. Pearly ließ als Erster von der sinnlosen Knallerei ab. Er biss sich auf die Unterlippe, und es war ihm anzusehen, dass er schon auf neue Mittel und Wege sann, um irgendwann doch noch seines flüchtigen Gegners habhaft zu werden.
    Peter war einstweilen in Sicherheit. Keine Kugel konnte ihn mehr erreichen. Er zügelte den Hengst zu einem leichten Galopp und lenkte ihn durch die Straßen der erwachenden Stadt nach Norden.

Die Fähre brennt in der Morgenkälte
    D ie

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