Winterwende: Die Welt aus Blut und Eis (German Edition)
letzte Mal, als wir so viele Mannen nach Süden sandten, marschierten innerhalb von Wochen die Heere von Horin-Gyre an unseren Grenzen auf. Damals siegten wir. Aber wer kann sagen, was geschehen wird, wenn der Schwarze Pfad erneut über das Tal der Steine anrückt? Ihr wisst ebenso gut wie ich, Behomun, dass es dort in den letzten Wochen mehr Übergriffe gab als seit vielen Jahren. Und mein eigener Sohn tötete keinen Tagesritt von der Burg entfernt einen Eber, in dessen Schulter ein Pfeil der Waldelfen steckte. Noch nie zuvor sind die Schleiereulen so weit in mein Land vorgedrungen.«
»Die Waldelfen stellen keine Bedrohung für ein Haus dar, das die Kriegskunst so beherrscht wie das Eure. Die Speere und Pfeile der Kyrinin sind den Schwertern von Lannis-Haig nicht gewachsen. Und was die Geschlechter des Schwarzen Pfads betrifft, so bin ich überzeugt, dass Ihr mit Eurer Überlegenheit einen Angriff innerhalb weniger Tage zurückschlagen würdet, wie Ihr es immer getan habt, Than.«
»Ach, verschont mich mit Euren Schmeicheleien, Steward«, brummte Croesan verärgert. »Wir sind hier nicht in Vaymouth. Spart Euch die Samtzunge für Gryvans Hof, anstatt sie meinetwegen zu strapazieren.«
Behomuns Verhalten änderte sich. Der Spott war nahe daran, sich Bahn zu brechen. »Wie Ihr meint. Vielleicht findet eine offene Antwort eher Euer geneigtes Ohr: Ihr könnt Eure Schwierigkeiten nicht vor der Tür von Gryvan oc Haig ablegen. Die Schleiereulen-Kyrinin greifen Eure Holzfäller und Viehhirten an, weil Ihr Euren Leuten erlaubt, die Wälder von Anlane zu roden. Euch muss klar gewesen sein, dass Ihr damit in ein Wespennest stecht.
Und wenn Eure Grenzen im Norden heute weniger gut gegen den Schwarzen Pfad geschützt sind, als Euch das lieb ist, dann hättet Ihr auf den Wunsch des Hoch-Thans eingehen und ihm Siedlungsland für seine Veteranen zur Verfügung stellen sollen. Scharen von erprobten Kriegern säßen auf eben jenen Höfen, die heute leer stehen, weil ihre früheren Bewohner vom Fieber hinweggerafft wurden. Und überhaupt hättet Ihr Taim Narran und den anderen niemals erlaubt, in den Süden zu ziehen, wenn Ihr geglaubt hättet, sie begäben sich in ernsthafte Gefahr. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ihr Euch einem Befehl des Hoch-Thans widersetzt.«
»Die Krieger, die Gryvan hier ansiedeln wollte, weigerten sich, mir und meinem Haus den Treueid zu leisten«, fauchte Croesan.
Der Steward machte eine wegwerfende Handbewegung. »Jeder von ihnen hatte Gryvan oc Haig persönlich die Treue geschworen und war damit bereits dem Haus Haig verpflichtet. So wie Ihr und Euer Haus, falls Ihr das vergessen habt. Weshalb den Männern also die alten Rituale aufzwingen?«
Croesan schwieg und ließ die Blicke auf dem Wandbehang hinter dem Steward ruhen. Die Szene zeigte Sirian, der das fliehende Heer der Gyre-Geschlechter verfolgte. Croesan fühlte sich alt und fast zu müde, um sich in sinnlose Streitereien mit diesem Mann einzulassen, dem die Vergangenheit nichts bedeutete. Zur Entstehungszeit des Bildteppichs vor gut hundert Jahren hätte niemand den Sinn von Treuegelöbnissen in Frage gestellt. Niemand hätte in ihnen leere Gesten gesehen. Aber damals hatte auch Kilkry die Wahren Geschlechter angeführt, und viele Dinge waren anders gewesen. Heute beugte Lheanor, der Than von Kilkry, wie alle anderen das Knie vor Gryvan oc Haig.
»Hätte ich gewusst«, sagte Croesan, »dass Gryvan meine Ablehnung damit bestrafen würde, dass er meine Männer in den Tod schickte, hätte ich vielleicht etwas länger über diese Angelegenheit nachgedacht.« Behomun setzte zu einem empörten Protest an, aber der Than ließ ihn nicht zu Wort kommen und sprach weiter. »Aber meine Antwort wäre nicht anders ausgefallen. Jeder Mann, der für das Haus Lannis kämpft, muss den Treueid schwören. Es ist noch nicht so lange her, seit dieses Gesetz auch im Herrschaftsbereich von Haig galt, Behomun, auch wenn Euer Herr das offenbar vergessen hat.«
»Die Zeiten ändern sich.«
Croesan seufzte. »Das stimmt, obwohl es kaum etwas wirklich Neues auf der Welt gibt. Wir hatten schon einmal Könige. Heute durchstreifen Ratten und Hunde ihre Paläste in Dun Aygll. Wie ich höre, überbieten die neuen Prunkbauten in Vaymouth jenen verlorenen Glanz.«
»Der Hoch-Than strebt nicht nach dem Königsthron.«
»Wenn Ihr das sagt … Aber darum geht es jetzt nicht. Ich werde Taim Narran den Befehl erteilen, mit den Überlebenden des Heers aus dem Süden
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