Wir Ausgebrannten
Dinge gar nicht aus. Man kann sich auch dafür entscheiden, auf Fleisch und Alkohol zu verzichten, einfach weil man darin eine für sich selbst angenehme Lebensweise erkennt. Man soll den Verzicht nur bitte nicht deshalb üben, weil einer der immer lauter werdenden Erzengel der Schmallippigkeit einem das befehlen möchte.
DES LEBENS SÜSSE ZUM DESSERT
Pascal Bruckner hat es auf den Punkt gebracht: »In Zeiten der Knappheit setzt sich das Wesentliche durch: Kultur, Freundschaft, Lust. Es bleibt auf unserem alten Kontinent etwas von jener Douceur de vivre, um die andere Völker uns beneiden können, eine Lust, die persönliche Freiheit mit einer Zivilität des Umgangs zu verbinden, eine Lebenskunst, die auf dem besten Erbe von Jahrhunderten beruht.«
Douceur de vivre – das könnte doch die Formel sein, auf die wir uns einigen können, selbst um den Preis, am Ende der Tirade etwas feuchtaugig zu werden. Wir müssen uns nur in die Lage versetzen, zumindest ein bisschen von der Lebenssüße in unseren Alltag zu retten. Aber wir müssen andererseits auch so lebensklug sein zu wissen, dass das Leben in seinen anderen Teilen nicht süß, sondern eher herb schmeckt. Dass eine auf Erfolg und Effizienz gründende Gesellschaft beim Einzelnen Erwartungen weckt, gehört zu ihrem Wesen, und unsere Aufgabe ist es, diese Erwartungen zu erfüllen, ohne an ihnen zu zerschellen. Lasst uns doch einfach mündige Bürger sein, die eine wenn auch nur ungefähre Vorstellung von dem entwickelt haben, was sie sind und möglicherweise noch werden wollen. Die große Erschöpfung ist als großes gesellschaftliches Phänomen in den Köpfen der Aufsichtsräte, Therapeuten und Angestellten angekommen und hat dort inzwischen den gleichen Stellenwert wie früher die Lust an der Arbeit. Dass wir unsere Welt nicht mehr in der einstmals gewohnten Übersichtlichkeit vorfinden, müssten wir inzwischen verstanden haben, und dass sich unsere Nerven, unser Hirn und unser Körper grundsätzlich auch auf die Schnelligkeit, Effizienz und Unübersichtlichkeit gewöhnt haben, gehört zum Kenntnisschatz der Neurologie.
Was kann und muss der Einzelne leisten, lautet ja immer wieder die Frage fürs Kollektiv. Vielleicht muss er begreifen, dass er der Einzelne ist, dass er Wünsche und Bedürfnisse hat, die sich nur teilweise mit der Firmenphilosophie decken. Dass er das Recht hat zu scheitern, beruflich, privat, wo auch immer. Dass er einerseits an der Beschleunigung der Welt mitwirken muss, aber für sich selbst nach Feierabend ein paar Gänge runterschalten kann. Ja, wir sind alle für bestimmte Dinge zuständig. Aber wir sind nicht zuständig für alles. Wir sind dafür zuständig, dass die Firma, für die wir arbeiten, erfolgreich ist. Aber wir sind nicht Tag und Nacht dafür zuständig, denn wir sind auch zuständig dafür, dass wir selber ein bisschen glücklich, und wenn nicht glücklich, so doch einigermaßen zufrieden sind. Ein bisschen Mut gehört natürlich dazu, sich aus der Allverfügbarkeit zu beurlauben. Wenn wir uns auf die Fahnen schreiben, willige und untertänige Geister unserer Arbeit zu sein, bitte: Aber dann sollten wir nicht klagen, wenn wir ausgebrannt sind. Wenn wir aber sagen: »Das hier ist meine Persönlichkeit, meine Kraft und mein Leben, Herr Aufsichtsrat. Einen Teil davon stelle ich der Firma zur Verfügung, den Rest brauche ich selber«, dann empfehlen wir uns als unabhängige Menschen, aufgeklärte Geister, kurz gesagt: klug mit ihren Kräften haushaltende Zeitgenossen.
Alle Entscheidungen für oder gegen das Leben haben wir selber zu treffen. Wir benötigen keine Ratschläge und keine Bedienungsanleitungen, wenn wir einfach nur vernünftig genug sind, unser Leben so zu bündeln, dass ein beträchtlicher Teil der Energie für uns selbst übrig bleibt. Douceur de vivre – um in diesen Genuss dieser Süßigkeit zu kommen, benötigen wir keine Therapeuten und keine Chiemseekliniken, sondern lediglich unseren Verstand und unser Gefühl. Das sind zwei Größen, die uns mitgegeben worden sind. Mit dem Verstand regeln wir die Balance zwischen dem für die Arbeit Notwendigen und dem für unser Wohlbefinden Unerlässlichen. Das Gefühl sagt uns, wann wir das Handy abschalten, wann wir aus dem Internet gehen und wann wir uns den für unsere Balance wichtigen Ausgleich gönnen sollten. Wir leben in einem Zeitalter der Beschleunigung und der Unübersichtlichkeit. Stress ist ein permanenter Zustand, an den wir uns gewöhnen müssen. Und
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