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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilmar Klute
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Sachen ein bisschen übertrieben hat. Aber Serge Gainsbourg sah mit seinen hedonistisch durchwalkten 61 Lebensjahren irgendwie menschlicher und in jedem Fall umarmenswerter aus als Sebastian Frankenberger. Frankenberger ist der Mann, sagen wir besser: der Jüngling, der in Bayern durchgesetzt hat, dass in keiner einzigen Kneipe, und sei sie auch noch so verlottert und prekär, eine Zigarette aufglühen darf.
    Der Mann ist so jung und dabei im Kopf so viel älter, als wir je werden können, selbst wenn wir nicht mehr rauchen, trinken, Fleisch essen und vier Stunden in der Augustsonne am Strand von Narbonne verbringen. Das Frankenbergertum ist an die Stelle des sorglosen Genießens gerückt. Das Frankenbergertum ist die unselige Seligkeit derer, die grundsätzlich Angst vorm Leben haben, weil sie dunkel ahnen, dass man am Leben auch sterben kann, und die darum denen, die sich nicht so arg davor fürchten, erklären müssen, dass sie ihr ganzes Leben aufs Spiel setzen, wenn sie nicht maßhalten. Kommt es uns nur so vor oder ist das alles jetzt doch ziemlich plötzlich geschehen?
    Vor Kurzem noch ist doch kaum ein Fernsehsender ohne Fernsehköche ausgekommen, die sorglos irgendeine kräutergesättigte Pampe angerührt und einen ganzen Zoo in die Bratenröhre geschoben haben. Diese Feier der Wohllebe mit ihrem ganzen Garzeitengedöns und Gute-Produkte-Gerede ging einem natürlich irgendwann ein bisschen auf den Zeiger, aber plötzlich wurde allen schlagartig bewusst, dass es neben dem Genuss auch Hunger, Armut und Ausbeutung in der Welt gibt. Das Frankenbergertum hatte uns wieder in seinen Griff genommen. Der gespickte Lafer-Hase blieb uns im Hals stecken und nun hieß es, wir müssten verdammt aufpassen, dass wir die Erde nicht komplett leer fressen mit unserem Jamie-Oliver-Epikureertum.
    Ach, apropos Epikur: Er schrieb in seinem Brief an Menoikeus, dass kluge Menschen mit der Freude am Leben doch ohnehin nicht das proletige Gefresse und Gesaufe der Prasser meinen; ihnen gehe es doch einfach darum, mit den Genüssen, die einem praktisch zur Verfügung stehen, dergestalt zu hantieren, dass sie einem das Leben ein bisschen angenehm machen. Das Gegenteil glaubten lediglich, sagt Epikur, »die Unwissenden oder Leute, die unsere Lehre nicht verstehen oder sie böswillig missverstehen«.
    Epikur meint hier nachweislich die Frankenbergers und Hartmanns.
    Und Michel de Montaigne, der große Selbstbeobachter aus Bordeaux, vermerkte in einem Essay: »Mir würde jede Esslust genommen, wenn ich mich nach ärztlicher Vorschrift mit täglich drei, vier mageren Mahlzeiten abquälen müsste. Wer könnte mir dafür bürgen, dass mir zum Abendessen nicht der morgendliche, für alles off ’ ne Appetit vergangen sein wird? Lasst uns . . . feste zugreifen, sobald sich eine günstige Gelegenheit bietet! Überlassen wir die täglichen Diätempfehlungen den Ärzten und den Kalendermachern.«
    Das Ärgerliche ist nur, dass die Kalendermacher uns ständig darauf hinweisen, dass wir mit fast allen Lebensäußerungen, die wir tun, die Welt wenn nicht zerstören, so doch ungebührlich beschmutzen. Wenn man eine 100-Watt-Glühbirne einschaltet, weil man es im Herbst ganz gerne von einer Sekunde auf die andere richtig hell hat, steht man energiemoralisch ungleich schlechter da als einer, der eine Energiesparlampe in die Fassung schraubt und dafür kostbare Lebensminuten im weltrettenden Halbschatten verbringt.
    Menschen, die gern abends zu Hause sind und Gemüseaufläufe kochen, welche aus saisonalem Gemüse bestehen, das am besten auch noch aus der Region stammt – diese Menschen sind liebe Menschen, weil sie einigermaßen wenig Kohlendioxid verbrauchen. Natürlich gibt es auch die anderen, nicht ganz so lieben, die es schön finden, abends im Restaurant zu sitzen, Fleisch zu essen und Wein zu trinken. Diese Menschen erzeugen wiederum viel zu viel CO 2 . Aber sie erzeugen auch ziemlich viel gute Laune, und die ist ein nicht gering zu schätzender Wert. Selbstverständlich stehen sie auch im Verdacht, dass sie ihren Hedonismus nicht nur im Restaurant ausleben, sondern vielleicht auch gerne längere Urlaubsreisen in ferne Länder unternehmen. Mit dem Flugzeug nach Vancouver, weil Vancouver schön ist und Vancouver Island darüber hinaus tausendmal schöner als Fehmarn. Aber wer nach Fehmarn in Urlaub fährt, könnte einen Großteil der Strecke mit der Bahn zurücklegen und 96 Prozent CO 2 -Emissionen einsparen. Dafür ist er dann allerdings nur auf

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