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Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition)

Titel: Wir in Kahlenbeck: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Peters
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entstanden ist …«
    »Carl , wie oft ist dir erklärt und sogar im Detail nachgewiesen worden , von zuverlässigen Gewährsleuten , daß nicht alles , was in deinem Biologiebuch steht , dem wissenschaftlichen Forschungsstand genügt , geschweige denn der Wahrheit verpflichtet ist?«
    »Schon , aber es sprechen eben doch auch die archäologischen Ausgrabungen dafür. Im Grunde bezweifelt es niemand , den ich sonst kenne. Ich meine nur , dann wird man schon leicht für einen Spinner gehalten , wenn man das alles bestreitet , oder?«
    »Was erwartest du denn , wenn du treu im Glauben an den Auferstandenen stehen willst? – Daß die Welt und ihre Meinungsmacher dir die Ehre erweisen? › Ihr werdet um meinetwillen von allen gehaßt werden ‹ , spricht der Herr. Und du bekommst es schon bei der bloßen Vorstellung mit der Angst zu tun , ein paar Halbhirne aus deiner Klasse könnten sich über dich lustig machen? Oder dieser Neynhuis , den du dir da jetzt offenbar zum Vorbild nehmen willst , weil er zu Hause Aquarien mit irgendwelchen Welsen oder …«
    »Malawi-Buntbarsche.«
    »Von mir aus auch Barsche. Ich meine , welche intellektuelle Kapazität würdest du ihm zusprechen?«
    »Ich weiß halt nicht , ob ich unter diesen Vorgaben überhaupt noch Biologie studieren und Ichthyologe werden kann. Wenn ich das annehme , was Gräfin Warnstorf sagt , bedeutet es , daß ich während des ganzen Studiums ständig , auch in allen Prüfungen , Dinge sagen oder schreiben muß , die eigentlich die Unwahrheit sind. Oder ich disqualifiziere mich als Wissenschaftler. Und später , nehmen wir mal an , ich würde es schaffen und käme in eine Forschungsgruppe oder könnte an Expeditionen teilnehmen … Ich müßte immer lügen.«
    »Hat dir eingeleuchtet , was die Gräfin zu diesen Fragen gesagt hat , oder hat es dir nicht eingeleuchtet?«
    »Schon. Also rein auf der gedanklichen Ebene.«
    »Gut. Und würdest du von dir selbst verlangen , daß dein Denken mit den Gesetzen der Vernunft übereinstimmt?«
    »Ja. Sicher. Ich stelle mir bloß die Frage , ob die Wirklichkeit , also die Prozesse der Natur , auch nach den Gesetzen dieser Vernunft funktionieren …«
    »Du meinst , in der Natur würden die Gesetze der Vernunft und der Logik nicht gelten? – Am Anfang war das Wort , heißt es bei Johannes – der Logos im Griechischen. Logos bedeutet sowohl schöpferisches Wort als auch umfassende Vernunft. In dieser Formulierung hat der Evangelist all das zusammengefaßt und vorweggenommen , was dann in der frühen Kirche zur Vermählung von biblischem Glauben und griechischer Rationalität geführt hat. Und daraus ergibt sich auch , daß Gott sich selbst in seiner Schöpfung auf die Vernunft verpflichtet hat. Er ist nicht der dunkle Willkürherrscher , den sich die alten Heiden in ihren Mythen vorgestellt haben. Wenn du erkannt hast , welche Art , die Welt zu denken , welche Schlußfolgerungen nach sich zieht , mußt du für dich die Frage beantworten , ob du in deinem Denken der Logik von Liebe und Wahrheit folgen willst , wie sie sich im fleischgewordenen Logos endgültig und für alle Zeiten offenbart hat , oder eben der Logik des Bösen und der Vernichtung.«
    »Weißt du , ich will Ichthyologe werden , seit ich acht bin.«
    Kuffel steht auf , lächelt ihm zu. Er trägt einen gestreiften Pyjama. Carl hält die Luft an , hofft inständig , daß Kuffel nicht , weil irgend etwas in ihm übermächtig geworden ist , auf eine absurde Idee kommt. Denkt , daß er etwas sagen sollte , etwas Gemeines oder Komisches , um klarzustellen , daß sich nicht einmal in seinem hintersten Hinterkopf der leiseste Anflug der Vorstellung einer derartigen Möglichkeit findet.
    Kuffel geht zu dem Stuhl , über dem sein Jackett hängt , zieht das Zigarillo-Kistchen aus der Seitentasche , sagt: »Wir könnten noch einen zusammen rauchen.«
    Er schaut ihn an , mild und traurig , aus diesen warmen Tieraugen , in denen etwas steht , das Carl nicht genau entziffern kann. Daß sie Freunde sind , vielleicht.
    »Laß mal« , sagt er. »Ich glaub’ , dann muß ich echt kotzen.«

Einunddreißig
    Nacht. Glasklarer Himmel. Dachschrägen aus Schwärze. Eingepfercht in einen Kopf , der keinen Ausgang vorsieht , nicht eine freie Stunde , an keinem Tag , weder erlaubtes noch verbotenes Verlassen des Geländes , keine Möglichkeit den Schädelknochen aufzubrechen , etwas zu atmen , außer Sauerstoff aus den eigenen Lungen , in etwas anderem zu treiben als der Brühe um das

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