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Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo

Titel: Wir Kinder Vom Bahnhof Zoo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane F.
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Erich Fromm »Die Kunst des Liebens« wurde richtig zur Bibel für mich. Ich habe ganze Seiten auswendig gelernt. Einfach dadurch, dass ich sie immer wieder lesen musste. Ich habe auch Passagen aus dem Buch abgeschrieben und mir über das Bett gehängt. Dieser coole Typ hat wirklich den totalen Durchblick. Wenn man sich an das hielte, was er schreibt, dann müsste das Leben sinnvoll sein, weil man es einfach packt. Nur ist es eben so schwierig, nach diesen Regeln zu leben, weil die anderen sie nicht kennen. Ich würde gern mal mit dem Erich Fromm darüber reden, wie er es macht, in dieser Welt nach seinen Prinzipien zu leben. Jedenfalls merkte ich, dass die Wirklichkeit so ist, dass man sie mit seinen Sprüchen eben auch nicht immer konfrontieren kann.
    In jedem Fall müsste dieses Buch erst mal die wichtigste Lektüre in der Schule sein. Dachte ich. Aber in unserer Klasse wagte ich nicht mal davon zu reden, weil mich dann die anderen wahrscheinlich wieder blöd angemacht hätten. Ich nahm das Buch manchmal mit in die Schule. Einmal las ich während der Stunde drin, weil ich dachte, ich fände eine Antwort auf eine Frage, die im Unterricht zur Sprache gekommen war. Der Lehrer sah das, guckte auf den Titel und nahm mir das Buch sofort weg. Als ich es nach der Stunde wiederhaben wollte, sagte er: »Das Fräulein liest also Pornografie im Unterricht. Das Buch bleibt erst mal konfisziert.« Das sagte er echt. Der Name Fromm sagte ihm nichts oder erinnerte ihn nur an Fromms. Und der Titel »Die Kunst des Liebens« signalisierte ihm natürlich sofort Pornografie. Was kann auch Liebe für diese frustrierten Typen schon anderes sein? Der meinte also, die alte rauschgiftsüchtige Stricherin will die Kinder der Klasse mit Pornografie verderben.
    Am nächsten Tag hat er mir das Buch wieder mitgebracht und gesagt, das Buch sei in Ordnung. Ich solle es trotzdem nicht mehr in die Schule mitbringen, weil der Titel so missverständlich sei.
    Es gab Sachen, die mich mehr runterzogen als diese eigentlich belanglose Geschichte mit dem Fromm-Buch. Ich bekam Trouble mit unserem Rektor. Das war auch ein total frustrierter und verunsicherter Typ. Der hatte nicht die geringste Autorität, obwohl er Rektor war. Das versuchte er mit Drill und Brüllen auszugleichen. Wenn wir bei ihm morgens Unterricht hatten, dann mussten wir erst mal ein Lied singen und dann Gymnastik machen. Zum Wachwerden, meinte er. Bei ihm kriegte man nur gute Zensuren, wenn man genau das sagte, was er vorgebetet hatte.
    Wir hatten bei ihm auch Musik. Und da wollte er uns mal einen Gefallen tun und über Musik reden, die uns so interessierte. Er fing an, ständig von der »heutigen Jazzmusik« zu reden. Ich wusste echt nicht, was er meinte. Ich dachte, der meint vielleicht Popmusik, und da habe ich gesagt: »Was meinen Sie eigentlich mit heutiger Jazzmusik? Pop und Rock sind doch was total anderes als Jazz.« Vielleicht hatte ich wieder mal den falschen Ton drauf. Bestimmt habe ich mal wieder losgeredet, ohne vorher nachzudenken, was ich mit meinem Gerede eigentlich bezwecken wollte. Jedenfalls rastete dieser Direktor sofort voll aus. Er brüllte tierisch und schickte mich aus der Klasse.
    In der Tür habe ich dann noch versucht einzulenken und habe gesagt: »Wir müssen uns wohl irgendwie missverstanden haben.« Da rief er mich zurück. Aber zurückgehen konnte ich dann auch nicht und bin die Stunde draußen geblieben. Ich hatte mich immerhin so weit unter Kontrolle, dass ich nicht gleich nach Hause bin.
    In der nächsten Stunde musste ich dann in das Büro des Rektors. Schon als ich reinkam, habe ich gesehen, dass er einen Schnellhefter in der Hand hatte. Als ich vor ihm stand, war mir klar, dass das wieder meine Akte aus Berlin war. Er blätterte in dem Schnellhefter und tat so, als würde er lesen. Dann sagte er, ich sei hier nicht in Berlin. Im Übrigen sei ich ohnehin nur Gast an seiner Schule. Er könne mich unter den gegebenen Umständen jederzeit rausschmeißen. Ich solle mich also benehmen wie ein Gast.
    Ich flippte danach total aus. Ich wollte überhaupt nicht mehr zur Schule. Ich kippte ja schon bei viel unwichtigeren Anlässen immer wieder seelisch aus den Latschen. Ich brachte es nicht, das zu konfrontieren. Ich brachte es nicht, mir zu sagen, dieser Idiot kann dich überhaupt nicht beeinflussen. Wenn der sich gegen dich nur mit diesen Akten wehren kann, dann ist der eigentlich noch schwächer als du.
    Ich backte nach diesem Zwischenfall jedenfalls wieder

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