Wir kommen von der Presse
und die Lüftungsanlagen und die und die Heizkessel zu überprüfen hat. Ja, und ab und zu denkt man auch daran, wie gut es doch ein Bäcker hat, der sich bei seiner Arbeit nie so schwarz macht wie unsereins.«
Ute wollte wissen, ob er Angst hatte, wenn er über einen Dachfirst balancieren mußte.
»Manchmal ist mir schon etwas mulmig zumute, besonders im Winter, wenn Schnee und Eis auf den Dächern liegen. Aber ein richtiger Schornsteinfeger muß balancieren können wie ein Artist.«
»Wollten Sie immer schon Schornsteinfeger werden?« fragte Klaus. »Ich meine, früher, als Sie noch ein Junge waren.«
»Nein, ursprünglich wollte ich Drahtseiltänzer im Zirkus werden.«
Während Klaus ein paar Schritte zurückging, um von dem Schornsteinfeger und Ute mit dem Mikrofon in der Hand ein Bild zu knipsen, fragte Ute den Mann, ob er schon vielen Leuten Glück gebracht hätte.
»Ich? Glück? Wieso? Ach, du meinst wegen der Glückwunschkarten mit dem Schornsteinfeger drauf, wie man sie zu Neujahr verschickt? — Nee, ich glaube, daß ich eher ein Kinderschreck bin. Manche Kinder fürchten sich vor dem schwarzen Mann. Sie haben Angst, daß ich sie mitnehmen könnte. Wahrscheinlich hat man ihnen erzählt, ich wär’ mit dem Teufel verwandt.«
Ute sah ihn enttäuscht an. »Und Sie glauben nicht, daß Sie schon mal jemandem Glück gebracht haben?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß hinter dem Glück, das man mit dem Anblick eines Schornsteinfegers verbindet, ein alter Brauch steckt. Wenn früher ein Jahr um war, kam er mit der Jahresrechnung ins Haus, schenkte den Leuten einen hübschen Kalender und wünschte ihnen Glück fürs kommende Jahr. Für Menschen, die abergläubisch sind, ist es wichtig, ob sie am Jahresanfang einem Glückbringer begegnen: einem Schwein, einem Schaf, einem Kuckuck oder auch einem Schornsteinfeger.«
Ute wollte wissen, ob das denn nur zum Jahresanfang wichtig sei.
»Nicht nur dann«, antwortete der Mann. »Neulich kam ich mal an einem Garten vorbei, wo gerade eine Hochzeit gefeiert wurde. Als sie mich sahen, kamen Braut und Bräutigam auf mich zugelaufen. Der Bräutigam strich mit einem Finger über meine Wange, und dann drückte er einen schwarzen Punkt auf die Nase der jungen Braut.«
Klaus und Ute lachten.
»Und dann?« fragte Klaus. »Waren die zwei danach glücklich und fröhlich?«
Der Schornsteinfeger zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich weiß nur, daß sie das lustig fanden. Mehr nicht. Ich mußte ja weiter. Schließlich bin ich hauptberuflich Schornsteinfeger und nicht Glückbringer.«
»Schade«, sagte Ute bloß.
Der Mann drückte noch einmal prüfend auf den Hinterreifen. »Und jetzt muß ich ebenfalls weiter. Sonst schaff’ ich meine Arbeit heute nicht.« Damit schwang er sich auf sein Rad. Bevor er in die Pedale trat, fragte er noch interessiert: »Übrigens, von welcher Zeitung seid ihr eigentlich?«
Mit dieser Frage hatte Ute nicht gerechnet. Auch Klaus war einen Augenblick lang verlegen.
»Wir? Äh, wir kommen von den Londoner Abendnachrichten«, antwortete er dann forsch.
»So, so. Na, dann viel Glück«, sagte der Schornsteinfeger und radelte davon.
Kaum war er außer Hörweite, prustete Ute los. »Du hast Einfälle! Londoner Abendnachrichten! Das hat der nie geglaubt!«
»Warum nicht?« erwiderte Klaus gelassen. »Er hat jedenfalls nichts dergleichen gesagt, oder? Außerdem darf man um gute Ausreden nie verlegen sein, sagt mein Bruder Olaf immer, besonders als Reporter nicht. Da ich gerade von Olaf spreche: Stell dir vor, der Schornsteinfeger würde Olaf zufällig kennen und ihm so nebenbei erzählen, daß ihn zwei von seiner Schülerzeitung angequatscht haben! Dann könnten wir gleich einpacken. Denn keiner kann einem einen Spaß so gründlich madig machen wie Olaf.«
Ute glaubte zwar nicht, daß der Schornsteinfeger ausgerechnet Olaf kannte, trotzdem war aber auch sie für strengste Geheimhaltung. »Ich weiß nicht, was mein Papa sagen würde, wenn er hörte, daß wir wildfremde Leute auf der Straße anquatschen.«
Sie setzten sich ins Wartehäuschen und ließen auf dem Recorder das Gespräch mit dem Schornsteinfeger ablaufen. Gespannt hörten sie zu, lächelten sich verlegen an, wenn sie ihre Stimmen vernahmen, und wußten am Ende nicht so recht, was sie dazu sagen sollten.
»Besonders aufregend war die Sache eigentlich nicht«, meinte Klaus. »Und spannend oder lustig auch nicht.«
»Beim zweitenmal wird’s bestimmt besser«, tröstete Ute.
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