Wir sind Heldinnen: Aus dem unglaublichen Leben der Alleinerziehenden (German Edition)
Jetzt dienen sie am Eingang der Ferienwohnung als Unterlage für die nassen Gummistiefel.
Auch sonst entfaltet die karge Unterkunft eine Menge positiver Energien. Gestern zum Beispiel haben sich Patchwork-Mama und Patchwork-Papa zum ersten Mal einen ganzen Tag lang nicht gestritten. Und heute Morgen hat der Patchwork-Papa eine ganz tolle Überraschung verkündet: »Wisst ihr, wer uns heute besuchen kommt? Ratet mal. Da kommt ihr nicht drauf. Olaf. Olaf und Jutta. Und die Kinder.«
Ach, der Onkel Olaf. Der Onkel Olaf und die Tante Jutta. Und die drei Jungs. Das wird ein Spaß.
»Ich kann ja schnell ein paar Kuchen backen.«
»Das wäre toll. Klasse, Schatz.«
Stirnküsschen vom Patchwork-Papa für die Patchwork-Mama, die sich einen kurzen Augenblick lang schrecklich alt vorkommt.
Kaum ist der Besuch da, da wird der Patchwork-Mama von Tante Jutta wie immer prompt das Baby aus der Hand gerissen. Während die fünf großen Kinder sich derart lautstark in der 5 qm großen Kinderschlafkoje rumstreiten, dass man sie schließlich vor Olafs Laptop setzen und eine DVD reinschieben muss. Die Eltern führen unterdessen im Hintergrund interessante Erwachsenengespräche.
»War das Wetter schon die ganze Woche so bescheiden?«
»Ja.«
»Und das im August. Mensch, das ist ja echt Pech. Ist das euer gesamter Jahresurlaub?«
»Ja.«
»Na dann.«
Dann schlägt der Patchwork-Papi seinem Großstiefcousin Olaf einen Spaziergang zum Parkplatz vor, wo man sich kurz fachmännisch über den Motorblock der jeweiligen Familienkutsche beugen wird. Kaum sind die Männer um die Ecke, holt Großstiefschwägerin Jutta tief Luft und hält ihren Lieblingsmonolog: »Was, euer Kleiner schläft immer noch so schlecht? Das kommt vom Stillen. Willst du denn jetzt nicht bald mal aufhören damit? Ist ja alles gut und schön, aber man muss es ja auch nicht übertreiben. Und wahrscheinlich nimmst du ihn bei jedem Mucks hoch. Kinder spüren das, wenn sie dich in der Hand haben. Du musst ihn mal eine Nacht schreien lassen, dann kapiert er schon, dass die Nacht zum Schlafen da ist. Und sag mal, bist du sicher, dass du genug zufütterst? Das Kind kommt mir wahnsinnig dünn und blass vor. Also von unserer Seite her hat er das nicht, mit dem schlechten Essen. Unsere Kinder hatten immer alle einen gesunden Appetit. Vielleicht fehlt ihm ja auch frische Luft. Gehst du denn jeden Tag mit ihm ein paar Stunden lang raus? Dann würde er nämlich nachts auch besser schlafen.«
Eine Familie ist ein Hort des Wissensaustauschs. Deshalb kann eine Familie gar nicht groß und eine ehemals einsame Alleinerziehende gar nicht dankbar genug sein. Weil die anderen Familienmitglieder sie jetzt so gerne an ihrem reichen Erfahrungsschatz teilhaben lassen.
Und wenn die vielen Verwandten gerade mal nicht da sind, macht es auch viel Freude, knifflige Erziehungsfragen mit dem neuen Partner zu besprechen. Da kann man endlich mal üben, was jahrelang alles so brachlag an sozialer Kompetenz. Kleinigkeiten ellenlang ausdiskutieren. Ohne dass am Schluss nennenswerte Ergebnisse dabei rauskommen. Das ist doch toll. Da lernen die Kleinen schon vom Zusehen, wie es zugeht im richtigen Leben. Außerdem ist es für die Kinder auch ganz großartig, dass sie jetzt so viele männliche und weibliche, alte und junge, große und kleine Vorbilder und Bezugspersonen haben. Auch wenn die eigene Mutter sie deshalb kaum noch zu Gesicht bekommt. Des Zweitbabys erste Worte waren jedenfalls nicht »Da, da: Mama!«, sondern »Wo sind denn die anderen allen?« Und selbst ihre große Tochter konnte sich neulich nur noch mit Mühe an den Vornamen ihrer Mutter erinnern.
Früher war das alles anders. Wenn das Kind Kuschelbedarf hatte, dann hüpfte es nur seiner geliebten »Mami« auf den Schoß. Was natürlich alles in allem ein Zeichen unnatürlicher und überängstlicher Fixierung von Kind auf Mutter und umgekehrt war. Jetzt jedenfalls hatte der Nachwuchs diese Fixierung offensichtlich gut überwunden und sowieso genug damit zu tun, sich mit den zahlreichen Halbcousins und Stiefgeschwistern gegenseitig Klingeltöne aufs Handy zu schicken. Um anschließend den diversen Großelternpaaren noch mehr Taschengeld abzuschwatzen.
Zum Teufel mit dem Dorf, das es angeblich braucht, um Kinder großzuziehen, denkt sie an diesem Abend, als Olaf, Jutta und die Jungs endlich wieder das Weite gesucht haben und sie sich im muffigen Ehebett von einer Seite zu anderen wälzt. Zum Teufel mit großen Familien und kleinen
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