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Wir sind verbannt (German Edition)

Wir sind verbannt (German Edition)

Titel: Wir sind verbannt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Megan Crewe
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hinterlassen, und der Wind vom Meer hat meine Nase innerhalb von fünf Sekunden ganz taub gemacht. Ich wollte ein letztes Mal die Meeresluft atmen, doch jetzt kann ich gar nichts mehr riechen.
    Ich habe extra meine fingerlosen Handschuhe angezogen, damit ich schreiben kann, aber meine Finger schmerzen jetzt schon, so dass ich nicht genau weiß, wie lang dieser Tagebucheintrag wird. Ich hatte bloß das Gefühl, irgendwie erklären zu müssen, was ich gleich tun werde. Um zu beweisen, dass ich es mir wirklich gut überlegt habe.
    Wenn ich von Leuten lese, die von einer Brücke oder einem Hochhaus springen, dann klingt das immer so nach melodramatischem Anfall. Sich einfach ins Nichts stürzen. Aber so ist es gar nicht. Wenn ich über den Rand der Klippe schaue, kann ich mir gut vorstellen, ohne zu zögern in die Leere auf der anderen Seite zu treten. Als wäre das völlig normal. Als bedeute dieser Schritt nichts anderes als anzufangen, eine Treppe hinunterzusteigen.
    Man kann noch nicht mal behaupten, ich sei nicht bei Sinnen. Junge Gorillas lassen sich selbst verkümmern, wenn sie beide Elternteile verloren haben. Sie hören auf zu essen und zu spielen, werden schließlich krank und sterben. Was ich hier tue, ist eine vollkommen natürliche Reaktion.
    Bloß dass es auf diese Weise effektiver ist.
    Ich gehöre nicht zu den Leuten, die strahlen, deren Licht man sofort vermisst, wenn sie nicht mehr da sind. Zu denen habe ich nie gehört. Dad hat sich um das Krankenhaus gekümmert, Gav hat die Essensversorgung für die ganze Stadt organisiert, und Tessa wird für die komplette Menschheit neuartige Nutzpflanzen züchten. Und was zum Teufel habe ich getan?
    Das Einzige, was ich gut kann, ist zusehen. Den Vögeln am Strand, den Kojoten im Wald, den Menschen beim Sterben.
    Aber ich hab’s versucht. Ich habe versucht, rauszugehen und zu helfen, und das ist das Ergebnis. Ich habe Quentin auf dumme Ideen gebracht, ihn zu Tessa und Meredith geführt. Ich habe dafür gesorgt, dass Gav und seine Leute die kranken Menschen in die Klinik bringen konnten, und jetzt ist sein bester Freund tot. Ich war nicht vorsichtig genug und habe mich mit dem Virus angesteckt, so dass Drew meinte, er müsste in einer verrückten Nacht-und-Nebel-Aktion abhauen, die ihn vermutlich das Leben gekostet hat. Vielleicht war ich es sogar, die das Virus mit nach Hause zu Mom gebracht hat. Irgendwer muss es ja gewesen sein.
    Und dann habe ich einfach nur zugesehen – als Mom starb, als Meredith immer kränker wurde. Ich stand daneben und habe zugelassen, dass irgendeine Frau Dad den Kopf einschlägt.
    Nichts bleibt mehr. Ich kann immer nur Leid zufügen. Ich will, dass das aufhört.
    Gav wird es schon schaffen. Es ist besser so für ihn – eine weniger, für die er sein Leben riskieren muss. Und Tessa kann gut für sich selbst sorgen. Wegen Meredith habe ich ein bisschen ein schlechtes Gewissen, aber sie wird nicht mal merken, dass ich fort bin. Wenn ich dabliebe, würde es sowieso nur ein oder zwei Tage gutgehen. Ich würde alles ignorieren, was Dad gesagt hat, und Nell überreden, die Antikörpertherapie noch mal zu versuchen, und dann wären Merediths letzte Tage die Hölle für sie. Oder ich würde dasitzen und zusehen, wie sie stirbt, und nie erfahren, ob es nicht doch etwas gab, das ich noch hätte tun können.
    Also bringe ich die Sache wieder in Ordnung. Ich hätte nie zu denen gehören dürfen, die überlebt haben. Vielleicht gibt es irgendeine höhere Macht, die das versteht, die mein Glück an Meredith weitergibt. Sie hat es verdient.
    Mein Leben gegen ihres – ist doch ein fairer Deal, oder?
    Verdammt ist das kalt. Ich fühle kaum noch den Stift. Mein Herz schlägt schon wie wild. Mein Körper weiß, was er als Nächstes tun wird. Nur noch vier Schritte bis zum Abgrund. Ich lege jetzt das Tagebuch ab, und in weniger als einer Minute ist alles vorbei. Ich werde nicht nach unten sehen. Ich werde nicht einmal weinen. Also los.

Ich bin noch da, Leo. Ich bin zurückgekommen.
    Ich hab das Gefühl, ich müsste jemandem dafür danken, als hätte ich gerade ein Geschenk bekommen, obwohl es meine eigene Entscheidung war, alles.
    Ich sollte den Kormoranen danken.
    Ich bin vorne zum Rand gegangen. Und dann musste ich doch hinunterschauen. Auf die ganzen zerklüfteten rotbraunen Felsen, die steil in die Wellen abfallen. Und auf all die Nester aus Seetang und Zweigen, die sich an die winzigen Felsvorsprünge schmiegen. Kaum zu glauben, dass irgendein

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