Wir sind verbannt (German Edition)
Hause. Es ist nur eine Klappliege in einem Zimmer, in dem Meredith eigentlich sein sollte. Es gibt kein Zuhause mehr. Es ist nichts mehr davon übrig.
Sie fing an zu schreien. Gestern Abend um zehn. Ich musste sie ins Krankenhaus bringen. Sie hat ihr Meerjungfrauen-Kleid zerrissen und mich am Arm gekratzt, aber ich wollte niemanden zu Hilfe rufen, ich wollte mich allein um sie kümmern. Ich sagte Tessa, sie solle sich keine Sorgen machen, ich würde das schon schaffen. Dann trug ich Meredith hinaus zum Auto und schnallte sie auf dem Rücksitz fest, und sie krümmte sich und schrie, aber sie wusste nicht mehr, wie man den Sicherheitsgurt löst. Also schafften wir es bis dorthin. Als sie die Klinik sah, fing sie wieder an zu schreien, und sie biss mich in die Hand und versuchte, mich dazu zu bringen, sie loszulassen. Aber ich bugsierte sie hinein und suchte Dad, der ihr eine Spritze gab. Genauso wie er es bei Mom und mir gemacht haben musste.
Sie hat jetzt ein Zimmer für sich allein. Inzwischen sind alle tot. Es ist nicht mehr nötig, jedes verfügbare Plätzchen mit Kranken vollzustopfen. Sie hat ein kleines Einzelbett in einem ehemaligen Lagerraum im ersten Stock bekommen.
Normalerweise gehe ich dort nicht hin, weil da die Patienten im dritten Stadium sind. Da ist das Geschrei lauter.
Sobald die Wirkung der Spritze nachlässt, wird es auch Meredith sein, die da schreit. Die Medikamente reichen nur aus, um die Patienten bei der Einlieferung ruhigzustellen. Sie haben ihr die Arme und Beine festgeschnallt, damit sie sich bei den Halluzinationen nicht selbst verletzt, oder womöglich jemand anderen.
Dad sagte, er würde mich noch zum Auto bringen. Und ich ließ ihn. Ich hätte dankend ablehnen sollen. Aber das hätte auch nichts geändert. Es hätte auch nichts geändert, dass ich meinen Dad nur noch ein paar Minuten für mich allein haben wollte, wenn ich nicht im Augenwinkel etwas gesehen hätte, das sich im Dunkeln bewegte. Wenn ich mich nicht umgedreht und versucht hätte zu erkennen, was es war.
»Was ist denn?«, fragte Dad, und ich antwortete: »Ich dachte, ich hätte da drüben jemanden gesehen«, und ich zeigte auch noch in die Richtung, weil ich mir nichts dabei dachte, ich habe überhaupt nicht gedacht.
Dann kam ein scharrendes Geräusch von der einen Seite des Gebäudes, und Dad lief los, um nachzusehen. Ich lief hinterher, weil ich nicht wusste, was da passierte, dann rannte er plötzlich und rief: »Halt! Bleiben Sie stehen!«
Ich hätte auch rennen sollen. Keine Ahnung, warum ich nicht gerannt bin. Ich sah die Frau mit dem Benzinkanister, und wie sie auf Dad zusprang, und blieb einfach wie angewurzelt stehen. Die ganzen Verteidigungstechniken, die Gav mir gezeigt hatte, alles weg. Deshalb war niemand nah genug dran, um sie aufzuhalten, als Dad die Hand nach ihr ausstreckte und sie den Kanister in die Höhe hob und ihm mit voller Wucht auf den Kopf schlug.
Ich schrie. Dad schwankte und stürzte zu Boden. Die Frau ließ den Kanister fallen und lief davon. In dem Augenblick begannen meine Beine wieder zu funktionieren.
Aus dem Krankenhausgebäude kamen Leute angerannt. Sie mussten mich gehört haben. Ich hatte so laut geschrien, dass mir die Kehle jetzt noch weh tut. Ich kniete neben Dad auf dem asphaltierten Fußweg. Alles roch nach Benzin. Das Blut sickerte so schnell durch seine Haare. Ich presste die Hand darauf, aber ich konnte es nicht stoppen. Ich bildete mir ein, seinen Atem zu spüren, doch sein Blick blieb starr, einfach nur starr, er blinzelte noch nicht einmal.
Nell sagt, jemand hätte versucht, das Krankenhaus in Brand zu setzen. Es waren zwei Männer und eine Frau. Einige der Freiwilligen kontrollierten die Außenseite des Gebäudes, als sie sahen, was mit Dad passiert war, und verjagten die Typen, bevor sie es wirklich tun konnten.
Nell sagt, sie hätten wahrscheinlich gedacht, sie könnten das Virus loswerden, indem sie den Ort abbrannten, an dem so gut wie jeder Infizierte gelandet war.
Sie sagt, Dad sei ein Held, weil er sie aufgehalten hat.
Sie sagte: »Es tut mir ja so leid.«
Dabei bin ich diejenige, die sich entschuldigen müsste. Ich habe Dads Blut an den Händen.
Ich weiß nicht, wo sie ihn hingebracht haben. Irgendwann inmitten des ganzen Tumults zog Nell mich fort und nahm mich in den Arm, und dann war er plötzlich weg.
Alle sind weg. Nur ich bin noch übrig.
20. Dezember
Es ist kalt hier oben auf der Klippe. Der Frost hat weiße Flecken auf den Felsen
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