Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten
ließ er weg. Vielleicht ärgerten sie sich sonst, dass er sie so oft hatte überlisten können.
Nach der Befragung wurde er hinausgeschickt. Dann kam ein anderer und brachte ihn in eine Zelle. Vom Gang aus hörte er einen heftigen Wortwechsel im Dienstzimmer, konnte aber nichts verstehen.
Dann hörte er es sogar in der Zelle. Die lauten Stimmen machten sich breit in seinem Kopf und walzten alles andere nieder.
Bastian weinte. Die wussten sicher alles. Auch von Dachau. Die würden ihn dorthin zurückbringen. Und was ihm dort blühte, das konnte er sich ausmalen. Und falls er nach Köln käme, würde es noch schlimmer: Brauweiler, EL-DE- Haus. Föls. Er duckte sich noch heute im Schlaf unter der Peitsche.
Bastian hockte sich in die Ecke der Zelle. Von draußen hörte er immer noch die lauten Stimmen. Sie stritten. Und er saß in der Falle.
Warum war er so dumm gewesen, zu seiner Mutter zu gehen? Er hätte bis zum Kriegsende einfach bei den Bauersleuten bleiben sollen ...
Jetzt würde man ihn vielleicht schnell erschießen. An die Wand stellen und peng ... Ohne großes Federlesen.
Bastian hatte Angst.
Doch auf einmal richtete er sich auf, wischte Rotz und Wasser aus dem Gesicht und sagte mit zusammengepressten Zähnen: »Nein, diese Bande wird mich nicht kriegen.«
In diesem Augenblick öffnete sich die Tür.
Sie ließen ihn wieder ins Dienstzimmer bringen.
Bastian war auf alles gefasst, presste die Zähne aufeinander, damit er nicht seinen Zorn auf diese Nazibande sofort hinausschleuderte, ihnen mitten ins Gesicht.
Sie boten ihm einen Stuhl an. Was sollte das? Damit sie anschließend umso wilder zuschlagen konnten? Und auf dem Stuhl könnten sie auch besser seinen Kopf treffen. Peng. Bastian duckte sich schon.
Die beiden Männer schlossen die Tür sorgfältig und bauten sich beide vor ihm auf.
»Du kannst gehen«, hörte er.
Was war das bitte? Er rührte sich nicht.
»Du kannst gehen«, sagte auch der andere.
Er sah sie endlich beide an. Und doch waren sie so weit weg wie hinter einer dicken Glasscheibe.
Bastian starrte den Revierleiter an. Was hatte der gesagt?
Du kannst gehen.
Der mit dem goldenen Parteiabzeichen räusperte sich. Er suchte nach Worten: »Sieh mal, Junge. Wir wissen, dass der Krieg bald vorbei ist. Den Endsieg wird es nicht geben, die Alliierten rücken schon an. Es ist alles nur noch eine Frage von Wochen, vielleicht Tagen. Uns ist das klar.« Er zögerte. Dann legte er Bastian seine Hand auf die Schulter und fuhr fort. »Wir machen ein Geschäft: Wenn wir jetzt deinen Fall nicht an die Gestapo melden, dann legst du nach dem Krieg ein gutes Wort für uns ein. Eine Hand wäscht die andere. Darauf dein Wort.«
Bastian schluckte. Er wand sich.
Er sollte also der Angst dieser Mitläufer nachgeben? Der Angst derer, die laut Hurra geschrien und ungeheuerliche Verbrechen begangen hatten?
Und gleichzeitig wusste er, dass er keine Wahl hatte. Und wusste auch, wenn er hier noch lange zögerte, könnte die sanfte Stimme dieser hohen Herren umkippen in drohendes Bellen.
Er nickte und sagte leise: »Ja.«
Der Revierleiter reichte ihm seine Hand, forderte noch seinen Händedruck.
»Bastian Frei, du kannst gehen.« Der mit dem goldenen Parteiabzeichen lächelte ihn an.
Ihm war schwindelig. Er hätte am liebsten gejubelt und doch blieb da ein Misstrauen, ein fader Beigeschmack. Vielleicht wollten die ihn nur auf die Probe stellen?
Aber die Männer drückten ihm einen Bogen mit Lebensmittelmarken in die Hand. Sie schickten ihn wirklich nach Hause. Bastian schüttelte seine Benommenheit ab und rannte um die Kirche herum weiter, weiter bis zum Haus seiner Tante unter heller werdendem Himmel. Er riss die Tür zur Stube auf und fiel seiner Mutter um den Hals.
Die sah ihn mit verweinten Augen an und fragte: »Und, was ist?«
»Sie sagten, es war ein Irrtum«, erklärte Bastian. Von der Abmachung sprach er nicht. »Sie meinten nur, ich solle die HJ -Uniform tragen, damit ich nicht für einen Deserteur gehalten werde.«
Der Sonnenstrahl, der dabei in die Stube fiel, erschien Bastian heller als je zuvor.
Erst viel später erfuhr er, dass der Junge im Zug der Sohn ebendieses Revierleiters war und seinem Vater von ihrem kurzen Gespräch und der Frage nach dem Haus der Sängers erzählt hatte. Und der Revierleiter wusste, dass nach dem Sohn dieser Kölner Mutter, die bei Sängers wohnte, gefahndet wurde.
»Jetzt gibt es aber ein richtiges Festessen«, rief die Tante. Sie tischte alles auf, was
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