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Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten

Titel: Wir tanzen nicht nach Führers Pfeife - ein Tatsachen-Thriller über die Edelweißpiraten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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»Wir müssen diese Jugendlichen mit allergrößter Härte und Entschlossenheit bekämpfen.«
    Oberkommissar Eugen Ziegen ließ sich nach diesen Worten vorsichtig auf einem Stuhl nieder. Er war groß und schwer. Wenn man es freundlich mit ihm meinte, nannte man ihn »stark beleibt«. Trotzdem war er mit einer überraschenden Behändigkeit ausgestattet. Seine Stimme hallte nach in dem holzvertäfelten Raum, der sparsam möbliert war. Ein langer, blank polierter dunkler Tisch, Stühle. Neben der Tür ein Schreibtisch für die Protokollantin. Darüber ein Bild des Führers.
    Kriminalassistent Ernst Klapproth stand am Fenster, wippte auf den Stiefelspitzen und sah hinaus auf das verdunkelte Köln. Am Tisch hatte der Oberstaatsanwalt Dr. Blömer hinter einem dicken Aktenordner Platz genommen, um Bericht zu erstatten. Ihm gegenüber stützte der Leiter der Gestapo-Hauptstelle, SS-Hauptsturmführer Klawes, den Kopf in die Hände.
    »Mensch, Klapproth«, sagte Ziegen. »Sie machen mich nervös. Ich hatte einen langen Tag.«
    Klapproth setzte sich neben Ziegen, seinen Vorgesetzten. Seine Finger begannen lautlos auf die Tischplatte zu trommeln. Frau Jürgens, die Sekretärin aus der Schreibbereitschaft, servierte Kaffee. Es gab echten französischen Cognac. Sie rauchten und warteten auf den SS-Standartenführer Schründer vom Reichssicherheitshauptamt Berlin. Klawes sah auf seine Uhr, gerade als sich die Tür öffnete und Schründer eintrat.
    Es war 22:30 Uhr.
    Die Herren begrüßten einander. Der Dienststellenleiter führte den Standartenführer zu seinem Platz am Kopfende des Tisches.
    »Meine Herren, verzichten wir auf die Formalitäten. Ich bin in Eile. Mein Zug nach Berlin geht noch heute Nacht.« Schründers Blick durchquerte den Raum. »Wir sind alle im Bilde. Beginnen wir.«
    Der Oberstaatsanwalt räusperte sich. »Ich habe einen Bericht vorbereitet. Er beruht auf meinen Erfahrungen mit wilden Jugendcliquen, einer Zeiterscheinung, die ein brennendes Problem darstellt.«
    »Wenn Sie erlauben, Dr. Blömer«, fuhr Klawes dazwischen. »Ein kurzes Wort von mir.« Standartenführer Schründer nickte.
    »Die Gruppierung, um die es insbesondere geht«, sagte Klawes, »ist kriminell und staatszersetzend. Im westlichen Ruhrgebiet und am Rhein hatten wir bis jetzt mehr als fünfhundert Verhaftungen. Der Erfolg ist gleich null. Zwei Rädelsführer konnten dem Sondergericht zugeführt werden. Am Aufwand gemessen, ist das zu wenig.«
    Der Standartenführer machte ein Handzeichen, das zur Eile mahnte. Klawes redete weiter: »Unsere Maßnahmen bestanden bis jetzt aus Verhaftung, Verhör, kurzfristiger Internierung. Das sind lediglich disziplinarische Maßnahmen, Warnschüsse. Wir kommen ihnen damit nicht bei.« Er stockte. Es schien, als hätte er den Faden verloren.
    Nun ergriff Oberstaatsanwalt Dr. Blömer das Wort und schlug einen Aktendeckel auf. »Diese Edelweißpiraten sind Romantiker, allesamt. Wanderungen in das Umland, Geländespiele. Sechs Tage in der Woche Stadtleben, da ist der Drang in die Natur doch auch verständlich. Aufrührerische Lieder. Kleinkriminalität. Die Verachtung der HJ . Sie mögen das Militärische nicht. Allesamt Proletarier.« Er räusperte sich. »Auch von einer gewissen Freizügigkeit zwischen Jungen und Mädchen wird berichtet.«
    Standartenführer Schründer sah unzufrieden aus. »Für mich hört sich das zu sehr nach Verständnis an. Wer weiß, was sich daraus entwickelt. Dieser Schlange müssen wir beizeiten den Kopf abschlagen.«
    »Es gibt keinen Kopf«, sagte Klawes. »Sie erkennen sich untereinander am Abzeichen, dem Edelweiß.« Klawes zupfte sich am Ohr. »Ausgerechnet das Edelweiß. Die Lieblingsblume des Führers. Wenn der das wüsste.«
    Ziegen konnte sich ein leichtes Grinsen nicht verkneifen. Klapproth saß stocksteif, den Rücken in den Stuhl gepresst.
    Klawes hob die Stimme. »Sie treffen sich spontan an den Bunkern und in den Grünanlagen. Sie kennen sich aus der Nachbarschaft, den Schulen, den Betrieben. Nur Indianer. Keine Häuptlinge. Sie sind zwischen vierzehn und achtzehn. Lange Haare ...«
    Ein Stuhl ruckte zurück. Hauptsturmführer Klawes stand auf. Seine Stimme fuhr dazwischen. »Wir müssen sie zerschlagen. Von den Bunkern vertreiben. Ihre Ausflüge unmöglich machen. Wir werden sie schnappen. Jeden Einzelnen. Verhören und zum Reden bringen. Ein paar Tage einsperren, nach Brauweiler verfrachten oder zu Jugendarrest verdonnern. Den müssen sie in ihrer Freizeit absitzen.

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