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Wir toeten nicht jeden

Wir toeten nicht jeden

Titel: Wir toeten nicht jeden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Salem
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und der Ort, zu dem sie mich geschickt haben, um die nächste Todeskandidatin zu observieren, ist ein FKK-Camping.
    Die Kinder schlafen tief und fest. Ich fahre auf den Besucherparkplatz. Der Campingplatz wirkt wie ein Waldstück mit riesigen bunten Pilzen, und ich könnte schwören, dass ich von hier aus die FKK-Zwerge, die sie bewohnen, rhythmisch schnarchen höre. Ob Nudisten nackt schlafen? Es sieht Leticia ähnlich, mit ihrem neuen Lover auf einen Fünf-Sterne-FKK-Campingplatz zu fahren.
    Wie er wohl ist? So wie ich früher, nehme ich an. Auch wenn ich nicht mehr recht weiß, wie ich früher einmal war.
    Als wir noch zusammen waren, hat sie mir irgendwann einmal von so einem Camping erzählt. So ein Urlaub passt einfach zu ihr.
    Was allerdings nicht passt, ist, dass jemand sie umbringen will.
    Jemand, der nicht mit ihr verheiratet war, meine ich.
    Und es passt ebenso wenig, dass es diesem Jemand gelingt, dass sich meine FIRMA seiner Sache überhaupt annimmt.
    Wir töten nämlich nicht jeden.
    Und wir sind auch nicht gerade billig.
    Leise steige ich aus, um die Kinder nicht zu wecken. Gegen die Kühlerhaube gelehnt, zünde ich mir eine Zigarette an und blase den Rauch in Richtung Osten; vielleicht geht die Sonne so schneller auf. Es muss ein Versehen sein. Bestimmt gibt es irgendwo einen Zahlendreher in dem Autokennzeichen, das Nummer Zwei mir diktiert hat. Modell und Farbe stimmen allerdings. Und Nummer Zwei vertut sich bei so etwas eigentlich nie.
    Und wenn es ein makabrer Scherz ist? … Nein, ausgeschlossen: Nummer Zwei weiß ja nicht einmal, was ein Scherz ist. Er hat keinerlei Sinn für Humor. Und für die Liebe sowieso nicht.
    Ich habe ihm nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden. Meine Aufträge hatte ich immer von der alten Nummer Drei erhalten. Bis Nummer Zwei mich eines Tages persönlich anrief und mich beauftragte, ihn zu töten.
    Manchmal frage ich mich, wie Nummer Zwei wohl aussieht. Dann stelle ich ihn mir als einen Holzklotz vor, mit einem ausgemergelten Gesicht und Armen so dick wie Äste. Wurzeln hat er jedoch keine, er ist ein abgestorbener Holzklotz, der über gewinnbringende Leichen und über einen Pool an stets abrufbereiten Profikillern Buch führt. Ich glaube, die Morde sind für ihn nicht mehr als erledigte Aufträge, simple Posten in einer Bilanz, in der Blut, Leid und Trauer nicht vorkommen.
    Nummer Zwei hätte die Sache im Retiro-Park nie gutgeheißen.
    Obwohl die FIRMA dadurch überhaupt erst auf mich aufmerksam wurde.
    Ohne die Augenklappe hätte ich Tony an jenem Vormittag in der Fakultät nicht wiedererkannt. Seit ich ihn aus den Augen verloren hatte, waren zehn Jahre vergangen, und plötzlich stand er vor mir, vierundzwanzig Jahre alt und kugelrund. Und das wunderte mich. Als Kinder hatten wir uns nämlich geschworen, nie dick zu werden und auch nie korpulente Piraten anzuheuern. Weniger überraschte mich, ihn bei den Medizinern anzutreffen, denn früher wollte Tony nicht nur Erster Offizier auf meinem Piratenschiff werden, sondern er hatte auch von einer Karriere als Arzt geträumt.
    Doch Tony studierte nicht.
    »Wer würde schon einem einäugigen, fetten Chirurgen vertrauen?«, erklärte er damals vor nun fast schon fünfzehn Jahren.
    Nein, Tony arbeitete für einen internationalen Konzern, der Krankenhäuser, Ministerien und Universitäten in ganz Europa mit Arzneimitteln und Sanitärartikeln belieferte. Mein Freund aus Kindertagen erzählte es ohne Verbitterung: Er verkaufe die Papierservietten, mit denen sich die hübschen Studentinnen die Lippen abtupften, und das Toilettenpapier, das mit ihren knackigen Hintern in Berührung käme, die er leider nie würde anfassen dürfen.
    Leticia war kurz vor Letis Geburt von der Fakultät abgegangen und war mit der Kleinen gerade ein paar Tage ins Landhaus ihrer Eltern gefahren. Nachdem Tony mir zur Vaterschaft gratuliert hatte, lud ich ihn zum Mittagessen ein, und dann feierten wir das Wiedersehen und redeten und tranken bis tief in die Nacht hinein.
    Es ging ihm eigentlich nicht gut. Dennoch strahlte er übers ganze Gesicht. Er war ganz der Alte und doch auch wieder nicht. Irgendwie ein Tony im Quadrat.
    Als wir beim sechsten Whisky angelangt waren, packte er aus.
    »Erinnerst du dich noch an meinen Großvater? Als er vor fünf Jahren starb, fing alles an. Der Ärmste war jahrelang ein Pflegefall, musst du wissen. Am demütigendsten war für ihn in all den Monaten aber nicht das Warten auf den Tod, sondern das

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