Wir toeten nicht jeden
Missverständnis oder ein makabrer Scherz ist. Zudem würden sie mich finden, egal, wo ich mich verstecken würde. Zumindest sind die Kinder bei mir in Sicherheit.
Leti und Antoñito schlafen immer noch friedlich. Im Tiefschlaf gibt man sich so, wie man ist, ganz unverstellt. Leti hat sich breitgemacht, während ihr armer Bruder sich ganz in eine Ecke drückt, um sie so wenig wie möglich zu stören.
Mein kleiner Sohn weiß noch nicht, dass manche Menschen sich trotzdem gestört fühlen können. Und einen deshalb kurzerhand umbringen. Da sie sich aber nicht selbst die Finger schmutzig machen wollen, wenden sie sich an Spezialisten wie mich. Der Daumen nach unten genügt.
Die Sonne geht auf.
Die Entscheidung ist gefallen. Ich werde hierbleiben und mich der Sache stellen, was auch immer dahinterstecken mag.
Als Profi, der ich bin, ertappe ich mich plötzlich bei der Frage, wo zum Teufel ich meine Pistole verstecken soll, wenn ich splitterfasernackt am Strand spazieren gehe.
Da meine ich in der Ferne das betrunkene Lachen der alten Nummer Drei zu hören.
Aber es ist nur das Unheil verkündende Krächzen eines schwarzen Raben.
05
Es ist alles geregelt. Wir wurden bereits erwartet. Die Reservierung per Internet geht auf meinen Namen. Und bezahlt ist auch schon alles. Sie haben sogar das Kennzeichen meines Wagens und wissen, wie meine Kinder heißen. Das macht mir zu schaffen, aber ich kann nichts dagegen tun. Noch nicht. Es beruhigt mich aber auch irgendwie. Wenn sie vorhätten, mich in einen Auftrag hineinzuziehen, hätten sie irgendeinen meiner vielen Decknamen angegeben.
Ich frage nach Leticia. Im Computer findet sich jedoch keine Reservierung auf ihren Namen. Insgeheim drücke ich mir selbst die Daumen: Hoffentlich hat die clevere Nummer Zwei sich einmal im Leben vertan. Um mich zu vergewissern, bin ich versucht, nach dem Kennzeichen ihres Wagens zu fragen, lasse es im letzten Moment aber bleiben. Ich muss vorsichtig sein.
Die Kinder sind zwar noch etwas verschlafen, aber in Hochstimmung, als wir zu unserer Parzelle fahren, wo Leti sofort bestimmt, wo mein Zelt stehen soll und wo ihres. Sie fordert einen gebührenden Abstand: Falls wir eine Freundin für dich finden .
Über die paar Leute, die zu dieser frühen Stunde vollkommen nackt mit Handtuch und Kulturbeutel zu den Waschräumen schlendern, scheint sie sich nicht zu wundern. Antoñito zögert kurz und zieht sich dann aus.
»Jetzt doch noch nicht, du Dummkopf!«, belehrt ihn Leti. »Wir gehen doch gleich frühstücken, und im Restaurant muss man immer was anhaben.«
Sie hat die Platzordnung des FKK-Campings bereits gründlich studiert, die man uns bei der Anmeldung in die Hand gedrückt hat. Ich schließe meinen Wagen ab, und wir machen uns auf den Weg zum Restaurant. Unterwegs begegnen wir zwei Frühaufsteherinnen, die zum Strand wollen. Nackt. Ich weiß nicht, wo ich hinschauen soll, und grüße etwas zu förmlich, worauf eine der Blondinen lachend ihr Käppi abnimmt, sich verbeugt und mir auf Deutsch einen wunderschönen guten Morgen wünscht. Sicher amüsiert sie sich über mein hochrotes Gesicht. Vielleicht aber auch über die Erektion, die meine für einen Familienvater typische kurze Hose leicht ausbeult.
»Was hat sie gesagt?«, fragt Antoñito, kaum sind sie weg.
»Keine Ahnung. Sie hat Französisch gesprochen, nehme ich an«, erwidere ich.
»Das war doch kein Französisch, Papi«, erklärt Leti altklug. »Sie hat uns bestimmt gegrüßt.«
Meine Kinder wissen nicht, dass ich außer Spanisch und Englisch noch vier weitere Sprachen spreche. Das gehört zu meinem Doppelleben, zu all den Kenntnissen und Fertigkeiten, die ich mir angeeignet habe, während sie dachten, ich verkaufe Arzneimittel, Toilettenpapier und Slipeinlagen an Krankenhäuser in halb Europa. Meine Auslandstermine sind nämlich immer mit einer Geschäftsreise zu den großen Kliniken verknüpft, wobei diesen bürokratischen Part dann mein Assistent erledigt – der als Juan Pérez Pérez reist und den ich nie kennengelernt habe.
Offiziell bin ich nämlich beim selben Pharmaunternehmen angestellt, für das Tony gearbeitet hat. Diese Tarnung haben sie mir vor acht Jahren verschafft; ich habe sie nicht selbst ausgesucht, aber eigentlich war es nur folgerichtig, denn im Grunde habe ich es Tonys früherem Arbeitgeber zu verdanken, dass ich Auftragskiller der FIRMA wurde.
Bis heute weiß ich nicht, für wen ich tatsächlich arbeite. Das Pharmaunternehmen ist nur ein
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