Wir wollen Freiheit
Jugendlichen«, sagt Hamdi Qandil. Er ist Sprecher der Nationalen Allianz für Wandel. Einer Sammlungsbewegung, die von Mohammed ElBaradei gegründet wurde. Der ehemalige Chef der internationalen Atomorganisation gilt seit seiner Rückkehr nach Ägypten im Frühjahr 2010 als Hoffnungsträger. Er formulierte einen Sieben-Punkte-Forderungskatalog an die Regierung. Sogar die größte islamische Oppositionsgruppe, die
Muslimbruderschaft,
unterstützt ihn. Wie fast immer ist der Doktor, wie Mohammed ElBaradei genannt wird, derzeit auf Reisen und es ist Hamdi Qandil, der am Mikrophon steht: »Wir würden uns niemals anmaßen, für diese Jugendlichen sprechen zu wollen oder sie zu repräsentieren«, sagt Hamdi Qandil mit feierlicher Stimme. Besonders beeindruckend sei, dass es gelungen ist, Demonstrationen in vielen Städten gleichzeitig zu starten. Auch in Alexandria und Mansura und selbst in Oberägypten waren gestern die Menschen auf den Straßen. So etwas hat es noch nie gegeben.
Von einem der Toten von Suez ist ein Video im Internet aufgetaucht. Es zeigt die Leiche des 2 1-jährigen Mustapha Mahmoud. Man meint Einschusslöcher in seiner Brust zu erkennen. Die grausamen Bilder werden an diesem Tag immer und immer wieder auf Facebook gepostet und weiterverschickt. |20| Mit jedem Klick wächst die Wut. Auch das stimmt die Oppositionellen bei der Pressekonferenz zuversichtlich. Das Beispiel Tunesien zeigt, wie wichtig Märtyrer für einen Aufstand sind. Es ist die Wut über die Polizeigewalt, welche die Menschen auf die Straße bringt.
»Wir reihen uns ein und folgen der Führung der Jugendlichen!«, beendet Hamdi Qandil seine Ansprache und überlässt das Podium einem Rechtsanwalt, der den Jugendlichen Hilfe anbietet. Mehr als 400 Demonstranten wurden gestern allein in Kairo verhaftet. Er und viele der anderen im Raum haben eine lange Geschichte von Hoffnung, Verfolgung und Enttäuschung hinter sich. Die meisten kommen aus der linken Studentenbewegung der 70er Jahre. Nun sitzen sie auf den gediegenen Bänken des Partei-Versammlungsraumes und drücken an ihren Handys herum. »Hier, das kam gerade über Twitter!«, sagt die bekannte Pro-Palästina-Aktivistin Karima al Hifnawi und zeigt ihrer Sitznachbarin ein paar Meldungen. Diese rückt ihre Lesebrille zurecht: »Oh, kannst du mir mal zeigen, wie Twitter geht. Das muss man jetzt wohl können, glaube ich!«, sagt sie.
Als es dunkel wird, brennen unter der Hochstraße beim Bahnhof Autoreifen. Die Polizei feuert Tränengas. Auch von Gummigeschossen ist die Rede. Die Demonstranten, die sich in kleinen Gruppen durch das Viertel bewegen, bringen sich in Nebenstraßen in Deckung und bewerfen die Einsatzfahrzeuge der Polizei mit Steinen und was sie sonst so auf der Straße finden. Die Jugendlichen, die in dieser Nacht hier unterwegs sind, kommen zum großen Teil aus dem Armenviertel Boulaq Abu Ela, das direkt hinter der Hauptstraße beginnt. Auch hier haben die Jugendlichen Facebook und Twitter, und wenn nicht, dann kommen sie trotzdem und lassen ihren Frust heraus – und davon haben sie reichlich.
|21| Der Donnerstag des Proxy-Servers
27. Januar 2011
Am dritten Tag wird die Revolte wieder ins Internet verlegt. Die Regierung versucht, Facebook zu blockieren. Aber darauf sind die Aktivisten vorbereitet. Auf der Seite »Wir sind alle Khaled Said« taucht eine genaue Anleitung auf, wie man Proxy-Server herunterlädt und was man sonst benötigt, um die Internetzensur zu umgehen. Seit Monaten wurden Tipps dazu ausgetauscht. Besonders Aktivisten aus Tunesien und Syrien haben viel Erfahrung. Es geht fast alles, allerdings braucht man Zeit und so ziehen sich die Jugendlichen der Revolte an diesem Tag in ihre Internetaccounts zurück. Mahmoud Al Hetta, 23, kommt das ganz recht, denn er kann kaum noch sprechen: »Ich habe mich bei den Demos der letzten zwei Tage heiser geschrien«, krächzt er ins Telefon. Er ist der Administrator der Facebook-Seite »Mohammed El-Baradei for President« und da hat er heute auch alle Hände voll zu tun, denn am späten Nachmittag wird Mohammed El-Baradei am Flughafen erwartet. »Er kommt, um sich dem Protest anzuschließen«, erklärt Mahmoud. »Natürlich, bisher haben wir es gut ohne ihn hinbekommen und er soll auch nicht unser Anführer werden. Doch seine Rückkehr macht uns Mut. Er ist eine wichtige Person für uns, denn er ist derjenige, der im vergangenen Jahr herkam und sagte: Wir müssen etwas ändern und wir können etwas ändern. Das
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