Wir wollen Freiheit
Revolution den Islam? Ich zeichne die islamischen Bewegungen nach, ihr Entstehen, Erstarken und wie sie in den letzten Jahren in die Krise geraten sind. Jede für sich und aus unterschiedlichen Gründen. So waren es nicht die Führer der islamischen Bewegungen, die zur Revolution aufriefen. Manche von ihnen lehnten die Demos zu Anfang ab, andere haben die Anfänge mehr oder weniger verschlafen. Die Revolution hat neue Ideen entstehen lassen und es zeichnen |12| sich Trends ab, wie sich die Bewegungen in der kommenden Zeit weiterentwickeln könnten.
Zum Schluss komme ich zu uns: Welche Auswirkungen hat der Arabische und vor allem der Islamische Frühling auf Deutschland? Ich habe dazu in den vergangenen Monaten immer wieder junge Muslime in Deutschland befragt: Gibt es Veränderungen? Färbt das positive Image der Jugendlichen vom Tahrir-Platz auch auf Muslime in Deutschland ab, so wie sich vorher viele immer wieder mit Terroristen in einen Topf geworfen sahen? Wie ist es mit den Diskussionen der islamischen Gruppen hier, werden sie in Deutschland wahrgenommen? Die Antworten sind persönlich und sehr durchwachsen. Es hat sich etwas verändert, aber noch nicht genug. Die zehn Jahre seit dem 11. September 2001 haben die Fronten verhärtet, aber immerhin gibt es einen Funken Hoffnung, dass es besser wird.
Kairo, 15. Juli 2011
Julia Gerlach
Ich danke allen, die mir bei diesem Buch und in dieser Zeit geholfen haben. Ich bedanke mich bei denen, die mir meine vielen Fragen beantwortet haben. Allen, die namentlich im Buch erwähnt sind, aber auch jenen, deren Namen nicht auftauchen, deren Erklärungen aber dennoch eingeflossen sind. Vor allem danke ich meiner Familie für die Unterstützung und die Geduld.
|13| 1. Die Revolution – Tag für Tag
Der Dienstag des Wunders
25. Januar 2011
Als ich am 25. Januar 2011 zum Tahrir-Platz fuhr, hatte ich die Geschichte schon im Kopf: »Vom vergeblichen Warten auf den Aufstand« sollte die Überschrift lauten. Es würde ablaufen wie immer, da war ich mir sicher: Erst würde es eine Weile dauern, bis sich die Demonstranten fanden. Wenn ein paar Dutzend oder vielleicht auch hundert zusammengekommen waren, würden sie Parolen skandieren. Dann würde die Polizei mit Tränengas und Schlagstöcken die Demo auflösen. Und Schluss. Wieso sollte es heute anders sein? Wegen Tunesien? Weil es dort gelungen war, den Präsidenten zum Abtreten zu zwingen? Natürlich hatte der Sturz des Regimes in Tunesien auch am Nil Hoffnung aufkommen lassen. Wer hätte gedacht, dass man einen arabischen Diktator stürzen kann. Bisher war es üblich, dass sie im Amt sterben und dann der nächste übernimmt. Am Tag, nachdem Zine Abdine Ben Ali ins Flugzeug gestiegen und aus seinem Land geflohen war, tauchte auf Facebook ein Aufruf zum Aufstand auch in Ägypten auf: Der 25. Januar 2011 sollte der »Tag der Revolte« am Nil werden. Ausgerechnet, denn der 25. Januar ist der »Tag der Polizei«. Überhaupt, eine Revolution mit Ankündigung, das kann ja nichts werden. Und warum so lange warten? Hätte man nicht – wenn schon, denn schon – gleich losschlagen müssen, den Wind aus Tunis nutzen und dem Regime in Kairo gar nicht erst Zeit geben dürfen, sich in Stellung zu bringen? Mit diesen Gedanken im Kopf fuhr ich mit der U-Bahn zum Tahrir-Platz.
|14| Als ich die U-Bahn -Treppe hochkomme, bin ich baff: So voll habe ich den Platz noch nie gesehen. Dicht an dicht stehen da die Spezialeinheiten der Polizei. Wasserwerfer, Mannschaftswagen, Räumpanzer. Nur Demonstranten sind nicht zu sehen. Im Geiste entstehen die ersten Sätze des Artikels: »Die einzigen, die den Aufruf zum Tag der Revolte ernst nahmen, waren die Sicherheitskräfte …« Ich stelle mich vor dem Kentucky-Fried-Chicken Schnellrestaurant in die Sonne. Ich bin nicht die Einzige, die hier auf etwas wartet. Ein paar Jugendliche kommen vorbeigeeilt. Einer mit Kapuzenshirt hat ein Handy in der Hand und liest dem anderen etwas vor. Offenbar eine Twitter-Meldung. Sie legen noch einen Schritt zu. Schon an der nächsten Ecke sind deutlich Sprechchöre zu hören: Rund 1000 Jugendliche kommen unter der Hochstraße entlang. Unglaublich! Die laufen ja! Und die Polizei läuft nebenher. Auf Transparenten fordern sie ein Ende des Ausnahmezustandes, die Erhöhung des Mindestlohns und Gerechtigkeit. Fröhlich und zielstrebig marschieren sie auf den Tahrir-Platz zu. Zwei Mädchen, eine mit offenen Haaren und die andere mit Kopftuch,
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