Wir zwei allein - Roman
fragt sie.
Wir sind nach Wieden gezogen, Theres.
Ja, sagt sie. Fühlst du dich hier nicht wohl? Stimmt etwas nicht?
Theres, sage ich.
Also, ich fühle mich sehr wohl, sagt sie. Wir haben es doch schön. Unser kleines Haus. Ich mag die Stille. Und schau mal, wie nah die Wolken da draußen sind.
Ich schiebe den Stuhl zurück, stehe auf. Ich gehe kurz raus, höre ich mich sagen. Aber nicht von außen höre ich das. Der Klang meiner Stimme fällt jetzt mit meinem Körper, mit seiner Bewegung, zusammen. Ich selbst bin eine Abbildung meiner selbst auf mich selbst, so dass ich nur eine einzige Person bin.
Ich steige in die obere Etage und ziehe mir in meinem Schlafzimmer die Schuhe an. Theres kommt mir hinterher. Ich stehe vom Bett auf und will wieder zur Treppe. Sie weicht vor mir zurück. Im Gang brennt Licht. Sie geht rückwärts.
Es tut mir leid, sagt sie.
Sie strauchelt, macht einen weiteren Schritt zurück, will sich eine Treppenstufe weiter unten abstützen. Ich greife nach ihrer Schulter, will sie festhalten. Ihr Fuß rutscht auf der Stufenkante ab. In diesem Moment friert alles in einer verzerrten Aufnahme ein. Theres’ Augen, die sich weiten. Theres, wie sie den Mund öffnet. Die Tiefe hinter und unter ihr, die sich dreht, ihr Maul aufsperrt. Sich nach unten hin verengt und sich in die unterste Holzstufe einbohrt wie eine Schraube.
Theres, höre ich mich sagen.
Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Zeit gehabt. Ganze Jahrhunderte liegen vor und hinter mir. Ich könnte einen Schritt nach vorn machen. Ich könnte nach ihrem Handgelenk greifen. Ich könnte ihre Schulter festhalten. Ich könnte meinen Arm nach ihr ausstrecken. Die Wolle ihres Pullovers fassen, daran ziehen. Ich bin im Warteraum der Ewigkeit, Klaviermusik plätschert von der Decke. Ein merkwürdiger Anblick, wie es Theres den Oberkörper verdreht, wie sie nach dem Geländer greift und wie auf einmal der Kopf mit dem schönen schwarzen Haar unten und die Beine oben sind und das Gepolter, das nicht aufhört und dann doch aufhört mit dem dumpfen Aufschlag am untersten Treppenabsatz und der darauffolgenden Stille. Und die Tiefe, wie eine Spirale, die sich dreht und dreht. Theres dort unten, am Boden des Brunnenschachts aus Holz und alter Tapete. Sie rührt sich nicht. Ich kann jetzt meinen eigenen Atem hören. Sie sieht so schön aus dort unten. Die roten Wangen, das Lächeln, die schlanken Handgelenke, der schlanke Hals, der merkwürdig verdreht wirkt. Theres ist glücklich. Wie konnte ich das zuvor nicht sehen? Sie wirkt nur etwas verkrümmt. Von hier oben. Aus meiner Perspektive. Es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Sie ist wütend auf mich und sagt deshalb nichts mehr. Sie ist beleidigt, weil ich ihr nicht gratuliert habe. Theres, verzeih. Ich gratuliere dir zu einem Kind. So etwas ist ein großes Ereignis.
16 Ich steige über sie, durchquere den Gang, trete in den Hof hinaus. Nach zwei Kehren das erste Haus. Der Schwarzwald mit seiner Hundefellfarbe über mir, unter mir das Tal. Kein Mensch zu sehen. Kein Auto auf der Straße. Das Tal ist in Wolken gehüllt, aber es regnet nicht mehr. Die Stille. Als wäre die ganze Welt ausgestorben. Nach zwei Kehren schimmert zwischen den Bäumen ein Weiher durch. In der Wiese stehen drei Kühe, dampfen vor sich hin. Ich setze mich im Schneidersitz auf den Asphalt, den Rücken gegen einen Fahrbahnpfosten. Ich muss lachen. Ich sitze hier in Jogginghose und Pyjamaoberteil.
Es piept. Vor mir ist ein silberner Audi zum Stehen gekommen, die Beifahrertür schwingt auf, eine Radiostimme dröhnt mir entgegen. Ich blicke in ein Ledersitzinneres und in das bärtige Gesicht eines dicken Mannes in Anzug und Krawatte, der von einem Sandwich abbeißt.
Wollen Sie es sich anschauen?, fragt er.
Anschauen?, sage ich.
Ich nehme Sie mit zum Schauinsland, sagt er. Da hat man den besten Blick.
Sieben Teams des Technischen Hilfswerks haben in Sankt Georgen, sagt die Stimme im Radio. Die Bundeskanzlerin hat den Bau eines Zeltlagers in.
Ich rapple mich auf und steige ein, der Dicke drückt aufs Gaspedal. Geräuschlos fliegen mehrere Höfe an uns vorbei. Der französische Präsident hat Hilfe zu. Noch immer ist ein Teil der Bevölkerung in der Altstadt ein.
Grad noch den Absprung geschafft, sagt mein Chauffeur und lacht. Wir sind vor drei Jahren hier hochgezogen, und Sie?
Der Laden, der Hirschen, die Kirche. Zwei Kehren, dann unser Haus. Im Hof der Sprinter und der Volvo, nichts rührt sich, kein Licht
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