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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Theres.
    Sie lächelt. Sie legt die letzte Schindel in den Karton und hievt diesen ins Regal. Ich trete an sie heran. Sie wischt sich über die Stirn. Sie lehnt sich gegen mich, bewegt sich nicht mehr. Ihr Duft, ihr flacher, stoßweiser Atem.
    Geht es dir gut?, frage ich.
    Wusstest du, dass die Bauern früher Gräben um ihre Höfe ausgehoben haben?, sagt sie. Hat mir dieser komische Vermieter erzählt. Sie hatten Angst, dass die Geister aus dem Schwarzwald ihre Höfe heimsuchen. Sie glaubten, die Geister würden in die Gräben stürzen und darin gefangen bleiben. Aber meistens brachen sich nur ihre Kühe ein Bein, wenn sie abends zurückgetrieben wurden. Ganz schön blöd, oder?
    Theres, sage ich.
    Als ob es im Schwarzwald irgendwelche Geister gäbe, sagt sie und lacht gegen meine Brust. Sie hat sich aus meiner Umarmung gelöst, steht schon an der Schuppentür und öffnet sie. Ich bin müde, sagt sie.

    4    Theres auf einem der Holzstühle im Garten, die nackten Füße zwischen den Birnen, über denen die Wespen kreisen. Theres mit einem Eimer blauer Farbe am Holzzaun zur Straße hin: Das gleiche Blau haben die Fischerhütten im rumänischen Donaudelta, wäre das nicht schön? Theres, wie sie alte Reifen, Bretter und Schutt aus dem Schuppen schleppt und im Hof aufschichtet. Mach doch eine Pause, Theres. Bist du nicht müde? Ich möchte aber, dass wir es schön haben. Ich mache es doch gern. Die Schatten um ihre Augen. Ihre roten Wangen ausgehöhlt in letzter Zeit. Wie ich nachts aufwache und sie im Wohnzimmer finde. Ich brauche im Sommer nicht viel Schlaf, mach dir keine Sorgen. Ich höre gerne den Grillen zu. Theres. Du musst dich ausruhen. Ich bin nicht müde. Theres, wie sie minutenlang zwischen den Obstbäumen steht und in die Wiese starrt, sich umblickt, als wäre sie gerade aufgewacht. Als hätte sie vergessen, was sie hat machen wollen. Theres, wie sie in der Auffahrt steht und über das Wiesental blickt und nicht merkt, dass ich sie durchs Küchenfenster beobachte. Wie sie den Kopf schüttelt und lacht. Theres mit einer Schaufel an der Klärgrube hinter dem Haus. Mit einer alten Sense zwischen den Obstbäumen. Mit einer Rolle Draht am Weidenzaun.
    Ich hingegen habe vor alle Fenster Netze genagelt. Aber die Küche ist trotzdem voller Fliegen. Sie kleben am Fenster, krabbeln über den Komposteimer neben der Spüle, rennen über die Tischplatte, fliegen ruckartige Quadrate unter der Lampe, sitzen auf der Butter und schrecken nicht auf, wenn ich sie vertreiben will.

    5    Spargel ist ein Liliengewächs, sage ich zu Niko. Wusstest du das? Er kommt ursprünglich aus den europäischen Salzsteppen. Im 16. Jahrhundert brachte man ihn hierher. Aber er war schon bei den Chinesen, Griechen und Römern als Heilpflanze bekannt. Der Spargel muss frisch sein. Darauf muss man achten. Wenn du zwei frische Spargel aneinanderreibst, dann quietschen sie. Probier das mal aus! Außerdem lässt sich frischer Spargel leicht brechen. Und die Schnittenden dürfen nicht ausgetrocknet sein. Geschweige denn bräunlich verfärbt. Wenn du Spargel aufbewahren willst, musst du ihn in ein feuchtes Tuch wickeln und in den Kühlschrank legen. Hält zwei bis drei Tage.
    Kannst du mir das vielleicht in der nächsten Spargelzeit erzählen?, fragt Niko.
    Und wusstest du, dass man bei Zuckerrüben zum Teil Geschwister kreuzt? Was wir im Kaffee trinken, ist der reine Inzest. Aber das ist nicht alles. Die Zuckerrübe ist eine zweijährige Pflanze. Im ersten Jahr wächst die Rübe in der Erde, als Speicherorgan. Im zweiten Jahr treiben die Blüten aus, die der Fortpflanzung dienen. Aber die Landwirte lassen es gar nicht so weit kommen. Sie ernten im ersten Jahr, im zweiten Jahr schneiden sie die Blüten ab und benutzen sie für die Zuchtkreuzungen. Kastration auf industriellem Niveau.
    Ich weiß nicht, sagt Niko.
    Ist aber so, sage ich.
    Wie ist es überhaupt bei euch da oben?
    Gut, sage ich.

    6    Theres’ gebräunte Haut unter dem roten T-Shirt. Die feinen Härchen an ihren Unterarmen. Ihre Schlüsselbeinknochen, die sich unter der Haut bewegen. Ihre Knie, die schnell wieder unter dem Stoff des schwarzen Kleids verschwinden, nachdem sie sich in der Kniekehle gekratzt hat. Sie balanciert auf einem Felsen, um den herum der Bach rauscht. Sie kneift die Augen zusammen. Der Geruch nach Ufer. Unter uns im Tal die Höfe wie zufällig verstreut. Sie setzt sich auf den Stein, zieht ihr Kleid über die Knie. Lässt die nackten Füße ins Wasser

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