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Wir zwei allein

Wir zwei allein

Titel: Wir zwei allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Nawrat
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Brot, Milch, Eier, Käse, Wurst, Schulhefte, Zeitungen, Grablichter und Blumen kaufen. Der Laden macht zweimal in der Woche mittags zu und bleibt geschlossen. Es gibt ohnehin keine Bank, in der man Geld abheben könnte. Es gibt das alte Oberdorf. Und das Unterdorf, das einige moderne Wohnhäuser und Doppelhaushälften umfasst. Wir verstehen uns aber hervorragend, sagt der Wirt vom Hirschen. Der Belchen thront über dem Tal, er wirft nachmittags seinen Schatten auf den Hof, den Theres gefunden hat. Von einer Veranda auf der Talseite des Hauses hat man einen Blick auf einen seiner Vorhügel, außerdem auf das stillgelegte Sägewerk am Ortsausgang und auf den Fußballplatz, der eher an eine Sandgrube erinnert. In der Nähe von Wieden ist das Besucherbergwerk Finstergrund. Außerdem das Naturschutzgebiet Steinwasen-Park.
    Im Hof stehend, rieche ich den Schwarzwald: Harz, scharfer Nadelgeruch, Gülle von den Weiden her. Das Bimmeln der Kühe aus der Ferne, ihr Gemuhe, wenn sie abends zurückgetrieben werden. Ein Auto, das zeitlupenartig den Hang hinaufkriecht und über die Kuppe ins Münstertal flüchtet, unter an- und abschwellendem Rauschen. Jeder der Höfe scheint eine Ferienwohnung zu unterhalten: Haus Monika, Haus Erika, Haus Balthasar. Mutter ist irritiert. Warum hast du mir nie etwas erzählt von ihr? Wie heißt sie denn? Was macht sie? Und wie sieht sie aus? Es ist alles in Ordnung. Aber so schnell zusammenziehen? Das ist heutzutage so. Ich werde dich bald einladen, es wird dir sicher gefallen.

    2    Theres hat die erste Nacht allein im Haus übernachtet. Ich komme am nächsten Morgen, es ist Samstag. Da stehen im Hof verschiedene Sessel und die Kredenz aus der Küche. Bretter lehnen an der Hauswand. Fetzen der Fünfziger-Jahre-Blumentapete liegen auf einem Haufen neben dem Schuppentor. Die Sonne brennt schon erbarmungslos. Aus dem Wald der Ruf eines Kuckucks. Theres sitzt auf der Treppe zum Haus, sie trägt eine zerrissene Jeans mit weißen Farbresten und ein graues T-Shirt. Sie hat Schweißperlen auf der Stirn. Ich steige aus dem Sprinter, stelle mich in den Schatten, hole meinen Tabak raus.
    Lass uns gleich fahren, sagt Theres und gibt mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
    Industriegebiet Nord: Nachdem wir den Sperrmüll in die ewigen Feuer des deutschen Schicksals gekippt haben, besteht Theres auf einen Abstecher zum Baumarkt. Fünfzig Liter weiße Wandfarbe, achtzig Quadratmeter Rauhfasertapete, drei Dosen Tapetenleim, Pinsel, Pinselchen, Rollen, sechzig Quadratmeter Laminat mit Fichtenmaserung, Spachtelmasse, zwei Spachtel, Schrauben und Dübel der Stärken vier, fünf und acht, eine Tube Silikon für die Fenster und für die Spüle in der Küche. Theres zahlt alles in bar.
    Woher hast du so viel Geld, Theres?
    Hab ich abgehoben, sagt sie.
    Hast du es gespart?
    Ist doch egal.
    Wir rollen wieder in den Hof ein, eine orangegestreifte Katze springt davon, verschwindet um eine Ecke des Schuppens in den Garten. Wir steigen aus. Die Sonne sinkt hinter den Belchen. Ein Lüftchen geht. Es könnte angenehm sein, mit dem ganzen Gartengeruch und dem Vogelgezwitscher. Ein Holztisch unter der Birne, zwei Stühle. Theres und ich, Kaffee, Zigarette, ein Riegeler Landbier.
    Sollen wir uns nicht ein bisschen ausruhen?, sage ich.
    Oben ist eine Matratze, sagt Theres und schiebt die Seitentür des Sprinters auf.
    Bist du nicht müde?
    Ich fange gleich mit der Grundierung an, sagt sie. Es soll doch so schnell wie möglich schön sein.

    3    Unsere erste gemeinsame Nacht. Ich will nicht schlafen, sagt Theres. Ich will im Garten sitzen und jede einzelne Veränderung mitbekommen.
    Ich habe den Holztisch aus dem Schuppen geholt und dazu zwei weiße Metallstühle aus der Küche. Es ist sehr schön hier, sage ich.
    Ich will sie umarmen und küssen, aber sie schlüpft aus meiner Umarmung und geht noch mal ums Haus, um eine Karaffe mit Wasser zu holen.
    Wir sitzen unter dem Baum, die Birnen im Gras sind verschrumpelt, viele der Blätter sind gelb und haben schwarze Punkte, obwohl es August ist.
    Das ist ein Pilz, sagt Theres. Ich habe mal in einer landwirtschaftlichen Versuchsanstalt gearbeitet, dort haben sie ihre Apfel- und Birnbäume absichtlich mit solchen Pilzen angesteckt und haben dann die Samen in den Früchten gezählt. Verrückt, oder?
    Sie dreht eins der Blätter in der Hand, das sich wellt und hart ist wie Pappe. Die Sonne ist vor einer halben Stunde hinter dem Belchen verschwunden. Über der Wiese schweben

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