Tante Dimity und der Kreis des Teufels
1
ES WAR EIN düsterer, stürmischer Nachmittag auf den Hochmooren von Northumberland. Ein kalter Oktoberregen trommelte auf das Dach des Range Rovers, und der Nebel war zäh und undurchdringlich wie Haferschleim. Ich hoffte, meine Gastgeber in Wyrdhurst Hall würden mit dem Tee auf mich warten, denn es sah ganz so aus, als würde ich mich verspäten.
Wegen der schlechten Sicht musste ich das Tor zur Zufahrt von Wyrdhurst übersehen haben.
Dem Holpern und Schlingern des Range Rovers nach zu urteilen, hatte ich die geteerte Landstra ße verlassen und war auf eine schmale, unbefestigte und schlammige Straße geraten, die eigentlich nur ein Weg war und steil bergauf führte, um irgendwo in den Wolken zu verschwinden.
Ich hatte keine Wahl, als weiterzufahren. Zu meiner Rechten stieg das Moor steil an, zu meiner Linken ging es eben so steil bergab.
Es gab keinen Platz zum Wenden, und ich hatte nicht vor, diesen Weg, den ich kaum sehen konnte, im Rückwärtsgang zu nehmen.
Noch weniger wollte ich meinen Mann anrufen und ihm sagen, dass ich ganz schön in der Klemme steckte. Bill hatte ohnehin ernste Bedenken gehabt, mich allein von unserem Dorf in den Cotswolds in diesen abgelegenen Ort nahe der schottischen Grenze fahren zu lassen. Wenn ich ihn nun anriefe, um ihm zu erzählen, wo ich mich befand – oder genauer gesagt, wo ich mich nicht befand –, so würde ich sein »Hab ich’s nicht gesagt?« laut und deutlich hören können, auch wenn er es nicht aussprach.
Abgesehen davon hätte Bill mir tatsächlich nicht helfen können, es sei denn, er hätte einen Hercules Helicopter geschickt, um mich samt meinem Wagen durch die Luft abschleppen zu lassen, aber ich konnte mir kaum vorstellen, dass selbst der mutigste Hubschrauberpilot sich bei diesem Wetter freiwillig in die Luft schwingen würde.
Allerdings war ich drauf und dran, ein transatlantisches Telefonat nach Boston zu führen, um meinen Frust bei Dr. Stanford J. Finderman abzuladen, meinem ehemaligen Chef. Je höher der Weg anstieg, desto mehr machte ich Stan für den Regen verantwortlich, der meine Windschutzscheibe immer undurchdringlicher werden ließ.
Schließlich war diese Fahrt sein Einfall gewesen.
Zähneknirschend dachte ich daran, wie er mich angefeuert hatte, ausgerechnet im verregneten Oktober in diesen entlegenen Winkel Nordostenglands aufzubrechen.
»Shepherd! Wie zum Teufel geht’s dir?« Stan war der Kurator der Sammlung bibliophiler Bü cher an meiner alten Alma Mater, aber seine herzhafte Ausdrucksweise war mehr auf seine Zeit in der Marine zurückzuführen als auf die Jahre, die er in der exklusiven Gesellschaft seltener Bücher zugebracht hatte. »Erinnerst du dich noch an Dickie Byrd?«
Ich fegte in meinem Gedächtnis ein paar Spinnweben beiseite, und da war er wieder: Richard Fleetwood Byrd, Oberhaupt eines florierenden Familienunternehmens in Nordengland, ein dickköpfiges, jähzorniges altes Schlitzohr mit einer Leidenschaft für kostbare illuminierte Manuskripte. Ich hatte ihn acht Jahre lang nicht mehr gesehen, aber es gab keinen Grund zu der Annahme, dass er sich in der Zwischenzeit geändert haben sollte. »Der Schrottkönig aus Newcastle?« Ich saß am Schreibtisch im Arbeitszimmer, wo ich den Anruf entgegengenommen hatte.
»Natürlich erinnere ich mich an ihn. Was ist mit Dickie?«
»Seine Nichte Nicole hat gerade geheiratet«, teilte Stan mir mit. »Heißt jetzt Hollander. Der Vorname ihres Mannes ist Jared.«
»Worum geht’s: Soll ich ihr ein Hochzeitsgeschenk vorbeibringen?«, fragte ich.
»Hör einfach mal zu, ja?«, erwiderte Stan ungeduldig. »Dickie ist Nicoles Vormund, und sie ist sein Augapfel. Die kleine Nickie wollte ein Landhaus als Hochzeitsgeschenk, also durfte sie sich einen der Familiensitze aussuchen. Sie entschied sich für ein riesengroßes viktorianisches Gemäuer im tiefsten Northumberland. Und der Kasten heißt Wyrdhurst Hall.«
»Weird hearse?«, wiederholte ich und verzog das Gesicht. »Ein ziemlich unheimlicher Name für ein Hochzeitsgeschenk.«
»Staub mal dein altenglisches Wörterbuch ab, Shepherd. Es schreibt sich W-Y-R-D-H-U-R-S-T.
Was so viel heißt wie ›Wachtposten auf bewaldetem Hügel‹. Dickies Großvater hat es gebaut. Es hat eine eigene Bibliothek – über tausend Bände, wie Dickie mir sagte.«
»Also, das ist ein hübsches Hochzeitsgeschenk«, bemerkte ich.
»Das fand ich auch«, stimmte Stan zu, »aber Dickie fürchtet, dass die Bücher in der Bibliothek für seine
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