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Wir zwei sind Du und Ich

Wir zwei sind Du und Ich

Titel: Wir zwei sind Du und Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Raufelder
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war sie darauf bedacht gewesen, schnell und unauffällig an den anderen vorbeizuschlüpfen.
    „Morgen Belinda“, sagt Ri leise.
    „Haste gelernt?“
    „Ne“, antwortet Ri. „Du?“
    „Iwo! Was denkst du denn?“, erwidert Belinda gelassen. „Ich verstehe einfach nicht, wofür ich so’n Quatsch lernen soll. Kapier’n tu ich’s eh nicht und interessieren tut’s mich schon gar nicht.“
    Ri mag Belinda für ihre Ehrlichkeit und bewundert sie für ihre Gelassenheit. Nichts bringt sie je aus der Ruhe.
    „Du hast ja auch keinen Vater, der dich pausenlos anstresst”, seufzt Ri.
    „Mensch, dein Alter ist echt ‘ne Plage!“, erwidert Belinda und zieht ihre aufgemalten Augenbrauen nach oben. Die richtigen hat sie einfach abrasiert. Zu männlich, hat sie Ri erklärt.
    Ri muss lachen. Belindas lockere Berliner Art ist einfach ansteckend und tröstend. Seit Belinda vor drei Monaten in ihre Klasse gekommen ist, sind die Schulvormittage ein wenig leichter zu ertragen.
    Da geht die Tür zum Chemiesaal auf und Herr Böhme, ihr Chemielehrer, steht in seiner ganzen körperlichen Fülle vor ihnen.
    „Jetzt geht’s los!“, tuschelt Belinda Ri zu. „Die Kühe werden zur Schlachtbank geführt.“
    Ri ist jetzt gar nicht mehr zum Lachen zumute. Bedrückt steigt sie die Stufen bis zur letzten Sitzreihe nach oben. Die beiden Mädchen sitzen gern weit hinten, weil sie dort vom Lehrer am wenigsten beachtet und fast nie überraschend aufgerufen werden.
    Kurz darauf tönt der Schulgong durch die Lautsprecher. Gnadenlos, denkt Ri und zuckt zusammen. Das schlechte Gefühl bohrt sich tiefer und tiefer in sie hinein. Jetzt sticht die Nadel zu.
    Herr Böhme, der stets eine Fliege und ein Jackett trägt, quetscht sich durch die Bankreihen und teilt die Arbeitsblätter aus. Als letztes kommt er bei Ri und Belinda an. Wahrscheinlich soll es besonders vertraulich wirken, als Herr Böhme sich zu ihnen vorbeugt. Aber Ri schreckt nur vor dem Geruch nach alten Socken zurück, der Herrn Böhme umgibt. Belinda blickt ihn skeptisch an.
    „Ich hoffe, ihr habt gelernt, Mädchen! Ihr wisst ja beide, was für euch auf dem Spiel steht!“, sagt er ernst.
    Belinda verzieht das Gesicht zu einer Fratze, sodass Ri beinahe laut loslachen muss. Zum Glück bemerkt Herr Böhme nichts davon. Ri nickt nur ein wenig, dann zieht Herr Böhme wieder nach vorn ab.
    „Ab jetzt 45 Minuten! Wer schwatzt oder abschreibt gibt sofort ab und bekommt eine 6!“, eröffnet Herr Böhme das grausige Spektakel.
    Mit zitternden Händen dreht Ri das Blatt um. Frage für Frage liest sie immer und immer wieder. Sie kann keine einzige beantworten. Während die anderen wie wild ihre Blätter vollschreiben, als ginge es ums nackte Überleben, kaut Ri verzweifelt an ihrem Kuli. Dann schreibt sie in besonders schöner Schrift ihren Namen und die Klasse in die linke Ecke des ansonsten leeren Papiers:
    Ricarda Lehmann, Klasse 10c.
    In die Mitte des Blatts schreibt sie anschließend: Brom ist braun und stinkt. Sonst nichts. Sie hatte sich nichts anderes merken können.
    Belinda bemüht sich erst gar nicht. Mit schwarzem Edding bemalt sie ihre Fingernägel und kaut gelangweilt auf ihrem Kaugummi herum.
    Ri ist der Verzweiflung nahe. Tränen schießen ihr in die Augen. Was wird bloß ihr Vater dazu sagen? Jetzt schickt er sie bestimmt auf ein Schweizer Internat.
    Schließlich hatte er ihr das schon mehr als einmal angedroht, wenn ihre Noten nicht besser würden.
    „Wenn wir wenigstens früher gehen könnten“, sagt Belinda, als die Stunde vorbei ist und sie unter den vorwurfsvollen Blicken von Herrn Böhme die leeren Arbeitsblätter abgeben und den Chemiesaal verlassen.
    „Dann hätten wir ’ne Stunde ins Café gekonnt. Hab nämlich ’nen riesen Kohldampf.“
    „Hm“, murmelt Ri, die immer noch dieses schreckliche Versagergefühl zu erdrücken droht. „Ich bin einfach zu blöd für das Zeug.“
    „Ach Quatsch!“, fährt Belinda sie fast ärgerlich an. „Mit diesem Zeug wollen die doch nur erreichen, dass du dich blöd fühlst!“
    „Meinste wirklich?“
    „Klaro!“
    Mit schlurfenden Schritten erreichen sie ihr Klassenzimmer im gleichen Stockwerk. Auch hier sitzen sie ganz hinten links in der Ecke.
    „Und jetzt auch noch ’ne Stunde Mathe bei Krause”, sagt Ri entkräftet und lässt sich auf ihren Stuhl fallen. Mathe mag sie noch weniger als Chemie.
    Pünktlich mit dem Gong tritt Herr Krause durch die Tür. Er kommt nie zu spät. Noch ein Grund ihn nicht zu mögen,

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