Wissen auf einen Blick - Philosophen
Zeichentheoretiker, Maler, Philosoph oder Autor bezeichnet. Seit einiger Zeit ist es üblich, Barthes all diese Etiketten zugleich anzuheften. Auch er selbst beschäftigte sich mit Etikettierungen und entwickelte eine Theorie der allgemeinsprachlichen Bedeutungszuschreibung: die des Mythos. Der Begriff des Mythos meint dabei nicht nur, wie in der Antike, die Gesamtheit religiöser Figuren und Geschichten, sondern auch unbewusste und kollektive Aufladungen von Begriffen oder Sachverhalten mit Bedeutung. Bestimmte Begriffe oder gesellschaftliche Phänomene enthalten eine über den bloßen Namen oder den reinen Sachverhalt hinausgehende Aussage oder Botschaft, zum Beispiel damit assoziierte Bilder, die etwa für die Vermarktung von Produkten oder die politische Meinungsbildung ausschlaggebend sind.
Entlarvung des Mythos
Die Träger des Mythos sind vielfältig. Die Literatur, aber auch der Film, die Reklame, die Fotografie oder das Schauspiel können einen Bedeutungsüberschuss enthalten. Der Mythos kennt laut Barthes keine inhaltlichen Grenzen. Prinzipiell könne alles mit einem einer mythischen Bedeutung aufgeladen und dabei kollektiv vereinnahmt werden, da der Mythos nicht von seinem Träger, sondern von seiner gesellschaftlichen Verwendung bestimmt ist. Barthes analysiert in seiner Schrift „Mythen des Alltags“ (1957) aktuelle und gewohnte Mythen als eine Form der Verwendung von Zeichen, die eigentlich irrational ist, den Menschen aber natürlich und grundlegend erscheint. Der Mythos muss als historische Schöpfung verstanden werden; er ist ein Produkt der Kultur und kann daher jederzeit wieder verschwinden, weil die Schöpfer des Mythos, die Menschen, nach Barthes als historische Wesen selbst der Veränderung unterliegen.
Poststrukturalismus
Obwohl er sich verschiedener wissenschaftlicher Methoden bediente, gilt Roland Barthes neben dem Philosophen Michel Foucault (1926–1984) und dem Psychologen Jacques Lacan (1901–1981) als einer der bedeutendsten Vertreter des Poststrukturalismus, einer philosophischen Strömung, die Ende der 1960er-Jahre in Frankreich entstand. Grundlegend ist für diese der kritische Umgang mit gängigen Diskursen und die Entwicklung neuer Vorstellungen unter Verwendung psychoanalytischer und sprachphilosophischer Zeichen- und Begriffskonzepte. Das Individuum wird dabei nicht als autonom, sondern als von Fremdeinwirkungen und unbewussten kognitiven Vorgängen beeinflusst angesehen
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Gesellschaftlicher Effekt
Barthes verwendet den Begriff des Mythos nicht zuletzt, um damit Veränderungen des Alltagslebens in ihrem kulturellen Zusammenhang zu beleuchten. Im Vordergrund steht dabei nicht der technische oder politische Fortschritt, sondern die davon ausgelösten Veränderungen der Massenkultur und ihrer Mythen. Mehr noch als für den Mythos selbst interessiert Barthes sich für die Entstehung von Bedeutung. Die Tatsache, dass der Mythos und sein Träger in keiner zwingenden Beziehung zueinander stehen, mache die Alltagsmythen zu einem eher soziologischen als philosophischen Thema. Schließlich seien es die Menschen, die manche Gegenstände scheinbar willkürlich mit mythischer Bedeutung aufladen. Seine Methoden hat Barthes deshalb sowohl an literarischen Texten als auch an einem Wahrzeichen wie dem Eiffelturm erprobt.
Seltene Porträtaufnahme aus dem Jahr 1972. In seinem Essay „Die helle Kammer“ beschäftigt sich Barthes mit der Fotografie, der er äußerst skeptisch gegenüberstand. Jedes Foto enthalte etwas Fürchterliches, „die Wiederkehr des Toten“. Auch wenn der Porträtierte noch leben sollte, reihe ein Foto ihn in eine Liste für die Nachwelt ein und setze ihn damit zu Lebzeiten den Toten gleich
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(c) Interfoto, München
Zu den Sachen selbst
Jean-François Lyotard (1924–1998)
Seit jeher versucht die Wissenschaft mit nur zwei Größen auszukommen: dem Gegenstand und der Erkenntnis vom Gegenstand. Dabei fehle, so der französische Philosoph Jean-François Lyotard, die dritte und wichtigste Komponente: das erkennende Bewusstsein. Als Beispiel für seine These wählt Lyotard eine simple rote Mauer: Die Farbe Rot sei nicht von der Mauer abzutrennen, auf der sie vorkomme, noch weniger aber vom Erkennenden, der sie als rot wahrnehme.
Anders als die meisten Wissenschaftler hält Lyotard nicht Erklärungen der Dinge, sondern bloße Beschreibungen für den Königsweg „zu den Sachen selbst“, wie er es in Anlehnung an den Philosophen Edmund Husserl (1859–1938) formuliert.
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