Witwe für ein Jahr (German Edition)
Viele Kühe überall. Wir befinden uns in Schleswig-Holstein – da kommen auch die gleichnamigen Kühe her. Mein Fahrer ist Buchhandelsvertreter meines deutschen Verlages. Ich lerne immer etwas von Vertretern. Dieser erklärt mir, meine deutschen Leser hätten mich gern »politischer«, als ich nun einmal bin. Er meint, meine Romane seien in dem Maß politisch, in dem alle Äußerungen über die Gesellschaft politisch sind. Er sagt: »Ihre Bücher sind politisch, aber Sie nicht!«
Ich bin nicht sicher, ob er das als Kritik meint oder lediglich eine Tatsache konstatiert, aber ich glaube ihm. Nach der Lesung in der Kunsthalle in Kiel kommt bei den Fragen aus dem Saal das Thema erneut zur Sprache – ein interessiertes Publikum.
Ich hingegen versuche, über das Geschichtenerzählen zu reden. »Ich bin wie jemand, der Möbel herstellt«, erkläre ich, »also reden wir lieber über Dinge, die mit Stühlen und Tischen zu tun haben.« Ich sehe den Leuten an, daß sie es gern komplizierter hätten, symbolträchtiger, als es ist. »Ich beschäftige mich in Gedanken mit einem neuen Roman«, erkläre ich. »Darin geht es um den Punkt im Leben einer Frau, an dem ihr klar wird, daß sie gern verheiratet wäre – nicht weil es einen Mann in ihrem Leben gibt, den sie wirklich heiraten möchte, sondern weil sie endgültig die Nase voll hat von schlimmen Freunden.« Ein paar Zuhörer lachen, nicht sehr ermutigend. Ich versuche es auf deutsch. Mehr Leute lachen, aber vermutlich liegt das an meinem mangelhaften Deutsch.
»Es könnte mein erster Ich-Roman werden«, fahre ich fort. Jetzt merke ich, daß sie jedes Interesse verloren haben, egal, ob ich Englisch spreche oder Deutsch. »Dann würde es My Last Bad Boyfriend heißen.« (Auf deutsch klingt der Titel schauerlich; er wird eher mit Bestürzung aufgenommen als mit Gelächter: Mein letzter schlimmer Freund . Hört sich an wie ein Roman über eine Pubertätskrankheit.)
Ich mache ein kurze Pause, um einen Schluck Wasser zu trinken, und sehe, wie sich die ersten Leute davonstehlen, vor allem aus den hinteren Reihen. Und diejenigen, die dageblieben sind, warten sehnsüchtig darauf, daß ich zum Ende komme. Ich bringe es nicht übers Herz, noch hinzuzufügen, daß die Frau, über die ich schreiben möchte, Schriftstellerin ist. Das würde ihr Interesse vollends ersticken. Soviel zur Kunst des Geschichtenerzählens und den konkreten Sorgen des Geschichtenerzählers! Selbst mich langweilt es, einem Publikum klarzumachen, was ich wirklich tue.
Aus meinem Hotelzimmer in Kiel kann ich die Fähren in der Kieler Bucht sehen. Sie kommen aus Schweden und Dänemark oder sind auf dem Weg dorthin. Vielleicht fahre ich eines Tages mit Allan hin. Vielleicht fahre ich eines Tages mit einem Ehemann und einem Kind und einem Kindermädchen dorthin.
Die Schriftstellerin, die mir im Kopf herumgeht – glaubt sie wirklich, daß die Ehe ihr die Freiheit rauben würde, die Welt zu beobachten? Wäre sie schon verheiratet, hätte sie zusammen mit ihrem Mann eine Prostituierte aufsuchen und mit ihr reden können! Für eine Autorin könnte ein Ehemann mehr Freiheit zum Beobachten bedeuten. Aber vielleicht weiß die Frau, über die ich schreibe, das nicht.
Ich frage mich, ob Allan sich weigern würde, mit mir zusammen eine Prostituierte mit einem Freier zu beobachten. Bestimmt nicht!
Aber der Mensch, den ich eigentlich dazu auffordern sollte, ist mein Vater.
[Eine Postkarte an ihren Vater: Prostituierte in ihren Fenstern an der Herbertstraße im Hamburger Rotlichtbezirk St. Pauli]
ICH DENKE AN DICH, DADDY. TUT MIR LEID, WAS ICH GESAGT HABE. ES WAR GEMEIN. ICH HAB DICH LIEB! RUTHIE
Flug von Hamburg nach Köln, Fahrt von Köln nach Bonn; großartiges Universitätsgebäude.
Zum erstenmal hat sich jemand aus dem Publikum nach meinem Auge erkundigt. (Bei den Interviews haben sämtliche Journalisten danach gefragt.) Es war eine junge Frau; sie sah aus wie eine Studentin und sprach nahezu perfekt Englisch.
»Wer hat Sie geschlagen?« wollte sie wissen.
»Mein Vater«, antwortete ich. Im Publikum wurde es plötzlich mucksmäuschenstill. »Mit dem Ellbogen. Wir haben Squash gespielt.«
»Dann ist Ihr Vater noch jung genug, um mit Ihnen Squash zu spielen?« fragte die junge Frau.
»Nein, er ist nicht jung genug, aber für einen Mann seines Alters ist er ziemlich gut in Form.«
»Dann haben Sie ihn vermutlich besiegt«, meinte die Studentin.
»Ja, das habe ich.«
Doch nach der Lesung gab mir die junge Frau
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