Witwe für ein Jahr (German Edition)
einen Zettel. Darauf stand: ICH GLAUBE IHNEN NICHT. JEMAND HAT SIE GESCHLAGEN.
Auch das mag ich an den Deutschen: Sie ziehen ihre eigenen Schlüsse.
Wenn ich einen Ich-Roman über eine Schriftstellerin schreibe, fordere ich die Rezensenten natürlich geradezu auf, ihn mit dem Etikett »autobiographisch« zu versehen – die Schlußfolgerung zu ziehen, daß ich über mich selbst schreibe. Aber man darf sich nie dazu verleiten lassen, eine bestimmte Art von Roman aus Angst vor möglichen Reaktionen nicht zu schreiben.
Ich höre schon jetzt, was Allan dazu sagen wird, daß ich nacheinander zwei Romane über eine Schriftstellerin schreibe; aber ich habe ihn auch sagen hören, daß es nicht die Aufgabe eines Lektors ist, einem Autor Ratschläge zu geben, was er schreiben soll und was nicht, oder gegen das, was er schreibt, Einspruch zu erheben. Daran werde ich ihn zweifellos erinnern müssen.
Wichtiger ist für mich die Frage: Was tut der schlimme Freund, nachdem beide eine Prostituierte mit ihrem Freier beobachtet haben, was für die Schriftstellerin so entwürdigend ist? Was muß passieren, damit sie sich so schämt, daß sie sich bemüßigt sieht, ihr Leben zu ändern? Der Freund könnte anschließend so erregt sein, daß er der Schriftstellerin, als sie sich lieben, den Eindruck vermittelt, daß er dabei an eine andere denkt. Aber das ist nur eine Variante von schlechtem Sex. Es muß schon etwas Übles sein, etwas wirklich Entwürdigendes.
In gewisser Weise macht mir diese Phase eines Romans mehr Spaß als das tatsächliche Schreiben. Am Anfang hat man so viele Möglichkeiten. Mit jedem Detail, für das man sich entscheidet, mit jedem Wort, auf das man sich einläßt, schränkt man seine Alternativen ein.
Die Frage, ob ich mich auf die Suche nach meiner Mutter machen soll oder nicht; die Hoffnung, daß sie sich eines Tages entschließt, mich aufzusuchen. Welche wichtigen Ereignisse in meinem Leben stehen mir noch bevor? Ich meine Ereignisse, die meine Mutter veranlassen könnten, sich zu melden? Der Tod meines Vaters; meine Hochzeit, falls eine stattfindet; die Geburt meines Kindes, falls ich eines bekomme. (Sollte ich je den Mut aufbringen, Kinder zu bekommen, würde ich nur eines wollen.) Vielleicht sollte ich meine bevorstehende Hochzeit mit Eddie O’Hare bekanntgeben. Vielleicht würde das meine Mutter auf den Plan rufen. Ich frage mich, ob Eddie mitspielen würde, schließlich möchte er sie auch wiedersehen!
[Eine Postkarte an Eddie vom grandiosen Kölner Dom, der größten gotischen Kathedrale Deutschlands]
MIT DIR ZUSAMMENZUSEIN, MIT DIR ZU REDEN – ES WAR DER BISHER WICHTIGSTE ABEND IN MEINEM LEBEN. ICH HOFFE DICH BALD WIEDERZUSEHEN. HERZLICHE GRÜSSE, RUTH COLE
[Eine Postkarte an Allan von einem prachtvollen Schloß am Rhein]
ALS MEIN LEKTOR, ENTSCHEIDE ZWISCHEN FOLGENDEN ZWEI TITELN: ›IHR LETZTER SCHLIMMER FREUND‹ UND ›MEIN LETZTER SCHLIMMER FREUND‹. SO ODER SO, MIR GEFÄLLT DIE IDEE. ALLES LIEBE, RUTH
PS: KAUF MIR DIESES HAUS, UND ICH WERDE DICH HEIRATEN. ICH KÖNNTE MIR DENKEN, ICH HEIRATE DICH AUCH SO!
Im Zug von Bonn nach Frankfurt fällt mir noch ein Titel für meinen neuen Roman ein; vielleicht ist er ansprechender als Mein letzter schlimmer Freund , aber nur weil er mir gestatten würde, noch ein Buch in der dritten Person zu schreiben. Was sie sah, was sie nicht wußte . Vermutlich ist er zu lang und zu prosaisch. Noch zutreffender wäre er mit einem Semikolon. Was sie sah; was sie nicht wußte . Ich kann mir vorstellen, was Allan von einem Semikolon im Titel hält; er hat ohnehin eine schlechte Meinung von meinen Strichpunkten. »Kein Mensch weiß mehr, was das ist«, behauptet er. »Wer es nicht gewohnt ist, Romane aus dem neunzehnten Jahrhundert zu lesen, könnte meinen, der Autor hätte über dem Komma eine Fruchtfliege zerquetscht. Strichpunkte stiften heutzutage nur Verwirrung.« Und doch glaube ich, ich möchte ihn heiraten!
Die Zugfahrt von Bonn nach Frankfurt dauert knapp anderthalb Stunden; mein Terminplan in Frankfurt ist so vollgepackt wie sonst nirgends. Nur zwei Lesungen, aber ein Interview nach dem anderen; außerdem findet auf der Buchmesse eine Podiumsdiskussion statt, vor der mir graut. Zum Thema Wiedervereinigung.
»Ich bin Romanautorin«, werde ich zweifellos irgendwann sagen. »Ich erzähle nur Geschichten.«
Als ich mir die Liste der Diskussionsteilnehmer ansehe – lauter Autoren, die auf der Buchmesse Werbung für ihre Bücher machen –, stelle ich fest,
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