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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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krank«, sagt er vorwurfsvoll.
    »Ja.«
    »Hier wird jeder krank. Es ist schrecklich hier.«
    »Ja.«
    »Hoffentlich stecke ich mich nicht bei Ihnen an.«
    »Hoffentlich nicht.«
    »Wahrscheinlich bin ich schon krank, immerhin bin ich schon lange genug hier«, setzt er hinzu. Wie bei dem, was er schreibt, ist unklar, was er meint. Meint er, er ist schon lange genug in Frankfurt, um sich etwas eingefangen zu haben, oder meint er, er ist schon lange genug im Lift, um sich meinen Husten geholt zu haben?
    »Sind Sie noch immer nicht verheiratet?« fragt er. Es ist kein Annäherungsversuch, sondern eine jener zusammenhanglosen Bemerkungen, für die der unerträgliche Intellektuelle bekannt ist.
    »Noch immer nicht, aber vielleicht schon bald«, antworte ich.
    »Soso, schön für Sie!« meint er. Seine aufrichtige Freude über meine Antwort überrascht mich. »Das ist mein Stockwerk«, sagt er. »Tut mir leid, daß Sie nicht bei der Diskussion waren.«
    »Mir auch.«
    Es geht doch nichts über eine zufällige Begegnung weltberühmter Autoren!
    Die Schriftstellerin müßte ihren rötlichblonden Freund auf der Frankfurter Buchmesse kennenlernen. Er ist ebenfalls Prosaschriftsteller, ein sehr minimalistischer. Bisher sind erst zwei Bücher mit Short storys von ihm erschienen, fragile Erzählgebilde, so karg, daß weite Teile der Geschichte ausgelassen wurden. Die Absatzzahlen seiner Bücher sind niedrig, doch dafür wurde er durch jene unqualifizierte Bewunderung seitens der Kritik entschädigt, die unverständlicher Literatur häufig zuteil wird.
    Die Schriftstellerin müßte zu den Autoren gehören, die »dicke« Romane schreiben. Sie und ihr Freund sind eine Parodie auf die sprichwörtliche Weisheit, daß Gegensätze sich anziehen. Beide finden gräßlich, was der andere schreibt; die Anziehung ist rein sexueller Natur.
    Er müßte jünger sein als sie.
    Sie fangen in Frankfurt eine Affäre an, und er begleitet sie nach Holland, wo sie im Anschluß an die Buchmesse für die holländische Übersetzung ihres neuen Romans Reklame macht. Er hat keinen holländischen Verleger und stand auch in Frankfurt viel weniger im Rampenlicht als sie. Ihr ist das nicht aufgefallen, ihm schon. Er war nicht mehr in Amsterdam, seit er als Student einen Sommer hier verbracht hat. Er erinnert sich an die Prostituierten und möchte mit ihr hingehen, um sie sich anzusehen. Vielleicht auch eine Live-Sex-Show.
    »Ich glaube nicht, daß ich mir eine Live-Sex-Show ansehen möchte«, sagt die Schriftstellerin.
    Es könnte seine Idee sein, eine Prostituierte dafür zu bezahlen, daß sie zuschauen dürfen. »Wir könnten unsere eigene Live-Sex-Show haben«, meint der junge Autor. Die Vorstellung scheint ihn ziemlich kalt zu lassen, und er gibt der Schriftstellerin zu verstehen, daß sie womöglich mehr daran interessiert ist als er. »Als Schriftstellerin«, betont er. »Um zu recherchieren.«
    Als er sie in Amsterdam durch den Rotlichtbezirk begleitet, behält er den lässigen und unbeschwert neckischen Ton bei. »Der da würde ich nicht zuschauen wollen, sie sieht aus, als hätte sie eine Vorliebe für Fesseln.« (So in der Art.) Er gibt ihr das Gefühl, eine Prostituierte bei der Arbeit zu beobachten sei nichts weiter als ein frecher Jux. Und er tut so, als wäre das Schwierigste dabei, das Lachen zu unterdrücken – weil der Freier natürlich nichts von ihrer heimlichen Anwesenheit merken darf.
    Ich frage mich eher, wie eine Prostituierte zwei Personen so verstecken kann, daß sie zusehen können, ohne selbst gesehen zu werden.
    Darin wird meine Recherche bestehen. Ich werde meinen holländischen Verleger bitten, mit mir durch den Rotlichtbezirk zu gehen. Schließlich tun das viele Touristen. Wahrscheinlich bitten ihn alle seine Autorinnen darum; wir alle wollen durch das Schäbige, Schmutzige, Sexuelle und Abnorme geleitet werden. (Als ich das letzte Mal in Amsterdam war, ist ein Journalist mit mir durch den Rotlichtbezirk gegangen; es war seine Idee.)
    Auf diese Weise werde ich mir die Frauen ansehen können. Ich weiß noch, daß sie es nicht mögen, wenn sie von Frauen betrachtet werden. Aber bestimmt finde ich die eine oder andere, die mir keine Angst einflößt, die ich später auch allein aufsuchen kann. Es muß eine sein, die Englisch spricht oder wenigstens ein bißchen Deutsch.
    Eine Prostituierte könnte reichen, sofern es ihr nicht unangenehm ist, sich mit mir zu unterhalten. Den Akt kann ich mir auch vorstellen, ohne ihn zu sehen. Mich

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