Witwe für ein Jahr (German Edition)
Reißverschluß hätte man gehört.
Die vielen Spiegel schienen den Mann zu irritieren. Ruth warf nur einen kurzen Blick auf sein Gesicht, bevor sie bewußt wegsah. Sie wollte sein Gesicht nicht sehen. Es kam ihr unangemessen nichtssagend vor. Statt dessen beobachtete sie die Prostituierte.
Rooie legte ihren BH ab; heute war er schwarz. Schon wollte sie ihren schwarzen Slip abstreifen, aber der Mann gebot ihr Einhalt. »Das ist nicht nötig«, sagte er. Rooie wirkte enttäuscht. (Wahrscheinlich meinetwegen, dachte Ruth.)
»Es kostet dasselbe, ob du mich anschaust oder anfaßt«, erklärte Rooie dem nichtssagend aussehenden Mann. »Fünfundsiebzig Gulden.« Aber offenbar kannte ihr Kunde den Preis, denn er hielt das Geld schon abgezählt in der Hand. Er hatte die Scheine aus der Tasche seines Regenmantels geholt; demnach mußte er sie aus der Brieftasche genommen haben, bevor er das Zimmer betreten hatte.
»Ich will dich nicht anfassen, nur anschauen«, sagte er. Erst jetzt kam es Ruth so vor, als spräche er Englisch mit einem deutsch klingenden Akzent. Als Rooie die Hand nach seinem Schritt ausstreckte, wich er ihr aus; er ließ sich nicht von ihr berühren.
Er hatte eine Glatze, ein glattes Gesicht, einen eiförmigen Kopf und einen unauffälligen Körper, und er war nicht sehr groß. Auch seine Kleidung war unauffällig. Die anthrazitgraue Anzughose saß locker, schlotterte schon fast, war aber frisch gebügelt. Der schwarze Regenmantel wirkte massig, so, als wäre er eine Nummer zu groß. Der oberste Knopf seines weißen Hemdes stand offen, und die Krawatte hatte er gelockert.
»Was machst du beruflich?« fragte Rooie.
»Sicherheitssysteme«, murmelte der Mann. » SAS «, glaubte Ruth noch zu hören, aber sicher war sie nicht. Meinte er die Fluggesellschaft? »Ein gutes Geschäft«, hörte sie ihn sagen. »Bitte leg dich auf die Seite«, sagte er zu Rooie.
Rooie rollte sich mit dem Gesicht zu ihm auf dem Bett zusammen wie ein kleines Mädchen. Sie zog die Knie an die Brust, schlang die Arme um ihren Körper, als würde sie frieren, und sah den Mann mit einem koketten Lächeln an.
Der Mann stand neben ihr und betrachtete sie. Er ließ seine schwere Aktentasche in den Sessel fallen, wo Ruth sie nicht mehr sehen konnte. Es war eine unförmige, lederne Aktentasche, wie ein Professor oder Lehrer sie mit sich herumschleppen mochte.
Fast als wollte er sich vor Rooies zusammengerolltem Körper verbeugen, kniete sich der Mann auf den Teppich neben dem Bett, so daß sein Regenmantel am Boden aufstand. Ein langer Seufzer entfuhr ihm. Und dann hörte Ruth ihn keuchen; seine Atemzüge wurden von asthmatisch klingendem Pfeifen begleitet. »Streck bitte die Beine aus«, sagte der Mann. »Und leg die Arme so über den Kopf, als würdest du dich dehnen und strecken. Tu so, als wäre es Morgen und du würdest gerade aufwachen«, fügte er ziemlich atemlos hinzu.
Rooie streckte sich – bezaubernd, wie Ruth fand –, aber der Asthmatiker war nicht zufrieden. »Versuche zu gähnen«, schlug er vor. Rooie simulierte ein Gähnen. »Nein, du sollst richtig gähnen, mit geschlossenen Augen.«
»Tut mir leid, ich schließe nie die Augen«, erklärte Rooie. Ruth merkte, daß Rooie Angst hatte. So plötzlich, wie man an einem Lufthauch merkt, daß eine Tür oder ein Fenster aufgegangen ist.
»Vielleicht könntest du dich hinknien«, meinte der Mann, noch immer keuchend. Rooie wirkte erleichtert. Sie kniete sich auf das Handtuch auf dem Bett und stützte Kopf und Ellbogen auf das Kopfkissen. Dabei behielt sie den Mann seitlich im Blick; ihr Haar fiel etwas nach vorn, so daß es ihr Gesicht teilweise verdeckte, aber den Mann konnte sie nach wie vor sehen. Sie ließ ihn keinen Moment aus den Augen.
»Ja!« sagte der Mann schwer atmend. Er klatschte begeistert in die Hände, nur zweimal, und wiegte sich auf den Knien hin und her. »Und jetzt schüttle den Kopf!« befahl er Rooie. »Laß dein Haar fliegen!«
In einem Spiegel auf der anderen Seite des Bettes erhaschte Ruth unfreiwillig einen zweiten Blick auf das gerötete Gesicht des Mannes. Seine kleinen, blinzelnden Augen waren halb geschlossen; es war, als wüchsen ihm die Augenlider über die Augen – wie bei einem blinden Maulwurf.
Ruths Blick wanderte blitzschnell zu dem Spiegel gegenüber dem Schrank; sie befürchtete, eine Bewegung hinter dem Vorhangschlitz erkennen zu können oder ihre Schuhe zittern zu sehen. Die Kleidungsstücke im Schrank schienen sie von beiden
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