Witwe für ein Jahr (German Edition)
Eddie? Bist du sicher, daß du es verkaufen kannst?« fragte Marion.
»Es sind nun mal die Hamptons«, meinte Eddie. »In dieser Gegend kann man alles verkaufen.«
Draußen war pechschwarze Nacht, und jetzt, wo Marion hellwach war, kam ihre Angst vor der Begegnung mit Ruth wieder hoch. »Haßt sie mich denn?« wollte sie von Eddie wissen. »Ich habe ihr wahrlich allen Grund dazu gegeben …«
»Ich glaube nicht, daß Ruth dich haßt«, sagte Eddie. »Ich glaube, sie ist nur wütend.«
»Wut ist in Ordnung«, meinte Marion. »Über Wut kommt man leichter hinweg als über manches andere. Aber was ist, wenn Ruth nicht möchte, daß wir das Haus bekommen?«
»Es sind nun mal die Hamptons«, wiederholte Eddie. »Egal, wer sie ist und wer du bist, Ruth sucht einen Käufer.«
»Schnarche ich eigentlich, Eddie?« fragte sie dann, scheinbar aus heiterem Himmel.
»Noch nicht, jedenfalls habe ich nichts gehört.«
»Bitte sag mir, wenn ich anfange … nein, gib mir einen Tritt. Ich habe nie jemanden gehabt, der mir gesagt hätte, ob ich schnarche«, erinnerte ihn Marion.
Sie schnarchte tatsächlich. Selbstverständlich hätte Eddie es ihr nie gesagt oder sie gar getreten. Er schlief selig, während sie neben ihm schnarchte, bis der 3-Uhr-22 in Richtung Osten sie wieder weckte.
»Lieber Himmel, wenn Ruth uns das Haus nicht verkauft, nehme ich dich mit nach Toronto. Oder sonstwohin, Hauptsache weg von hier«, sagte Marion. »Nicht einmal aus Liebe könnte ich hierbleiben, Eddie. Wie hältst du das bloß aus?«
»Meine Gedanken waren immer anderswo«, gestand er. »Bis jetzt.« Er war erstaunt, daß sie, wenn er an ihrer Brust lag, noch genauso roch, wie er sie in Erinnerung hatte; es war der längst verflogene Duft ihrer rosafarbenen Kaschmirjacke, der Duft, der ihrer Unterwäsche anhaftete, die er mit ins College genommen hatte.
Sie schliefen tief und fest, als der 6-Uhr-12 sie aufs neue weckte.
»Der fährt nach Westen, habe ich recht?« fragte Marion.
»Genau. Man hört es an den Bremsen.«
Nach dem 6-Uhr-12 liebten sie sich sehr behutsam. Sie waren wieder eingeschlafen, als der 10-Uhr-21, der nach Osten fuhr, ihnen einen sonnigen, kalten, klaren guten Morgen wünschte.
Es war Montag. Ruth und Harry hatten für den Dienstag vormittag die Fähre gebucht, die von Orient Point abfuhr. Die Maklerin – die stämmige Frau, die so nahe am Wasser gebaut hatte – wollte die Möbelpacker hereinlassen und das Haus in Sagaponack dann absperren, nachdem Ruth, Harry und Graham wieder in Vermont waren.
»Jetzt oder nie«, sagte Eddie beim Frühstück zu Marion. »Morgen sind sie fort.« Marions Nervosität konnte er daran ablesen, wie lange sie zum Anziehen brauchte.
»Wie sieht er denn aus?« fragte sie Eddie, der ihre Frage mißverstand; er dachte, sie beziehe sich auf Harry, aber Marion meinte Graham. Eddie war klar, daß Marion Angst vor dem Wiedersehen mit Ruth hatte, aber sie hatte auch Angst davor, Graham zu sehen.
Zum Glück war Graham (nach Eddies Ansicht) Allans wölfisches Aussehen erspart geblieben; er hatte eindeutig mehr Ähnlichkeit mit Ruth.
»Graham sieht seiner Mutter ähnlich«, sagte Eddie, aber auch das hatte Marion nicht gemeint. Sie wollte wissen, welchem ihrer beiden Söhne Graham glich, wenn überhaupt. Im Grunde hatte Marion nicht Angst, Graham zu sehen, sondern ein Ebenbild von Thomas oder Timothy.
Die Trauer um verlorene Kinder vergeht nie; sie läßt nur ein wenig nach. Und auch das erst nach langer Zeit. »Bitte sag es mir genauer, Eddie. Findest du, daß Graham eher wie Thomas aussieht oder eher wie Timothy? Ich muß einfach darauf vorbereitet sein«, sagte Marion.
Eddie wünschte, er hätte sagen können, daß Graham weder Thomas noch Timothy ähnlich sah, aber er konnte sich besser an die Fotos von Ruths verstorbenen Brüdern erinnern als Ruth. In Grahams rundem Gesicht und in seinen weit auseinanderstehenden Augen lag das gleiche erwartungsvolle, kindliche Staunen wie bei Marions jüngerem Sohn.
»Graham sieht Timothy ähnlich«, räumte Eddie ein.
»Vermutlich nur ein bißchen«, meinte Marion, aber Eddie wußte, daß es wieder eine Frage war.
»Nein, sehr. Er sieht Timothy sehr ähnlich«, erklärte er.
An diesem Morgen hatte sich Marion für denselben langen anthrazitfarbenen Rock entschieden, trug dazu aber einen anderen Kaschmirpullover mit rundem Ausschnitt; er war burgunderrot, und anstelle eines Schals hatte sie eine schlichte Halskette angelegt, eine dünne Platinkette
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