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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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selbst.
    Nicht lange nach dieser Begegnung traf er sie eines Abends, als er von einem Kinobesuch in Southampton zurückkam, in seinem Schlafzimmer vor einem Foto an. Das Kindermädchen für den Abend war nach Hause gegangen. Auch wenn es ihm das Herz brach, wußte er sofort, daß Marion nicht hier war, um ihn zu verführen. Sie begann, über einige Fotos in seinem Zimmer und im Bad zu sprechen; sie entschuldigte sich für ihr Eindringen und meinte, aus Rücksicht auf seine Privatsphäre betrete sie sein Zimmer sonst nur, wenn er außer Haus sei, um sich die Fotos anzusehen. Vor allem ein Foto habe sie sehr beschäftigt – welches, wollte sie ihm nicht sagen –, und deshalb habe sie sich etwas länger aufgehalten als vorgesehen.
    Als sie ihm eine gute Nacht wünschte und ging, war ihm elender zumute, als er es je für möglich gehalten hätte. Doch kurz bevor er zu Bett ging, bemerkte er, daß sie seine herumliegenden Kleidungsstücke zusammengelegt hatte. Auch ein Handtuch hatte sie von seinem üblichen Platz über der Duschvorhangstange entfernt und ordentlich auf den Handtuchhalter gehängt, wo es hingehörte. Zuletzt bemerkte Eddie, daß sein Bett gemacht war, obwohl das am offensichtlichsten war. Er machte es nie, und zumindest in der gemieteten Wohnung machte Marion ihres auch nie!
    Zwei Tage später setzte er Kaffee auf, nachdem er die Post auf den Küchentisch im Kutscherhaus gelegt hatte. Während der Kaffee durchlief, ging er ins Schlafzimmer. Zunächst dachte er, das auf dem Bett sei Marion, aber es war nur ihre hellrosa Kaschmirjacke. (Nur!) Marion hatte die Knöpfe offengelassen und die langen Ärmel so nach oben gelegt, als hätte die in der Jacke steckende unsichtbare Frau ihre unsichtbaren Hände hinter dem Kopf verschränkt. Unter den offenen Knöpfen kam ein BH zum Vorschein; der Anblick war verführerischer als alle Arrangements, die Eddie bisher ausprobiert hatte. Der BH war weiß, ebenso das Höschen, und Marion hatte beides genau so hingelegt, wie Eddie es gern mochte.
    Kommt herbei …

    Im Sommer 1958 war Ted Coles aktuelle junge Mutter eine kleine dunkelhaarige, wild aussehende Frau, die verstohlene Mrs. Vaughn. Einen Monat lang hatte Eddie lediglich Teds Zeichnungen von ihr gesehen; und auch nur die Zeichnungen, für die Mrs. Vaughn zusammen mit ihrem Sohn posiert hatte, der ebenfalls klein und dunkelhaarig war und wild aussah, was bei Eddie den starken Verdacht weckte, die beiden könnten womöglich dazu neigen, andere Leute zu beißen. Mrs. Vaughns elfenhafte Gesichtszüge und ihre übertrieben jugendliche, koboldhafte Frisur vermochten den gewalttätigen oder zumindest instabilen Zug in ihrem Wesen nicht zu überdecken. Und bei ihrem Sohn hatte man ständig das Gefühl, daß er einen gleich anspucken und wie eine in die Enge getriebene Katze anfauchen würde – vielleicht hatte er ja keine Lust, Modell zu stehen.
    Als Mrs. Vaughn zum erstenmal allein zum Modellstehen kam, bewegte sie sich von ihrem Wagen bis zum Haus und wieder zurück besonders verstohlen. Sie ließ ihren Blick in alle Richtungen flitzen und versuchte jedes Geräusch zu ergründen, wie ein Tier, das damit rechnet, angegriffen zu werden. Natürlich hielt Mrs. Vaughn Ausschau nach Marion, aber Eddie, der noch nicht wußte, daß sie nackt Modell stand – und erst recht nicht, daß der kräftige Geruch, den er (und Marion) auf den Kissen im Kutscherhaus bemerkt hatten, von dieser jungen Mutter stammte –, gelangte irrtümlich zu dem Schluß, daß die kleine Frau geradezu krankhaft nervös war.
    Außerdem wurde Eddie zu sehr von seinen Gedanken an Marion in Anspruch genommen, um Mrs. Vaughn viel Beachtung zu schenken. Obwohl Marion den Streich mit ihrer Doppelgängerin, die sie so verlockend auf dem Bett drapiert hatte, nicht wiederholte, empfand Eddie seine eigenen Anordnungen der hellrosa Kaschmirjacke, die Marions köstlichen Duft verströmte, in einem bisher nicht gekannten Ausmaß als befriedigend.
    Eddie lebte in einer Art Onanierhimmel. Er hätte dort bleiben sollen, er hätte seinen festen Wohnsitz dort aufschlagen sollen. Wie er bald feststellen mußte, befriedigte es ihn nicht, mehr von Marion zu bekommen, als er bereits besaß. Aber Marion war diejenige, die über die Art ihrer Beziehung entschied; sofern sich zwischen ihnen noch mehr abspielen sollte, dann nur, wenn Marion den Anstoß dazu gab.
    Es begann damit, daß sie ihn zum Abendessen ausführte. Sie setzte sich ans Steuer, ohne ihn zu fragen, ob er

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