Witwe für ein Jahr (German Edition)
erste kreative Impuls seit dem Tod ihrer Söhne war; und es war das erste und einzige Mal seitdem, daß sie »reines Vergnügen« empfunden habe, wie sie sagte. Die angebliche Reinheit eines solchen Vergnügens ließe sich freilich anzweifeln, aber die Ernsthaftigkeit von Marions Absichten hätte Eddie nie in Zweifel gezogen; und es verletzte seine Gefühle nur geringfügig, daß das, was für ihn Liebe war, für sie lediglich »Vergnügen« war. Selbst mit sechzehn hätte er die Warnung, die sie ihm hatte zukommen lassen, besser verstehen müssen.
Als Marion Ted kennengelernt hatte, stellte er sich als »frischer« Harvard-Aussteiger vor, der an einem Roman schrieb; in Wirklichkeit hatte er Harvard vier Jahre zuvor verlassen und besuchte jetzt eine Kunstakademie in Boston. Zeichnen konnte er schon immer, und so bezeichnete er sich als »Autodidakt«. (Die Kurse an der Kunstakademie interessierten ihn nicht halb so sehr wie die Modelle.)
Im ersten Jahr ihrer Ehe hatte Ted für einen Lithographen gearbeitet; er haßte den Job vom ersten Tag an. »Ted hätte jeden Job gehaßt«, sagte Marion zu Eddie. Das Lithographieren war ihm zutiefst zuwider, und mit Radierungen konnte er ebensowenig anfangen. (»Ich bin weder ein Kupfer- noch ein Steinmensch«, hatte er Marion erklärt.)
Ted Coles erster Roman erschien 1937, als Thomas ein Jahr alt und Timothy noch nicht unterwegs war. Die Rezensenten äußerten sich zumeist positiv, und für einen Erstlingsroman verkaufte sich das Buch überdurchschnittlich gut. Ted und Marion beschlossen, ein zweites Kind zu bekommen. Die Rezensionen des nächsten Romans – er kam 1939 heraus, ein Jahr nach Timothys Geburt – waren weder positiv noch zahlreich; er verkaufte sich nur halb so gut wie der erste. Als 1941 Teds dritter Roman erschien – »ein Jahr vor deiner Geburt«, wie Marion Eddie gegenüber betonte –, wurde er kaum besprochen, und wenn, dann nur negativ. Er verkaufte sich so miserabel, daß Teds Verleger sich weigerte, ihm die genauen Zahlen zu nennen. Und dann kam 1942, als Thomas und Timothy sechs und vier waren, Die Maus, die in der Wand krabbelt. Durch den Krieg verzögerten sich die zahlreichen Übersetzungen in andere Sprachen, doch schon vor deren Erscheinen war klar, daß Ted Cole es nie wieder nötig haben würde, sich von einem Job anwidern zu lassen oder einen Roman zu schreiben.
»Sag mal«, wollte Marion von Eddie wissen, »kriegst du eine Gänsehaut, jetzt, wo du weißt, daß du im selben Jahr auf die Welt gekommen bist wie Die Maus, die in der Wand krabbelt ?«
»Ja, schon«, gestand Eddie.
Dann wollte Eddie wissen, weshalb die Familie jahrelang von einer College-Stadt in die nächste gezogen war. (Marion hatte ihm erzählt, daß sie in ganz New England gelebt hatten.) Sie versuchte es ihm zu erklären.
Bei seinen sexuellen Eskapaden hielt sich Ted an ein ziemlich unschönes Muster. Er hatte Marion erklärt, College- und Universitätsstädte seien das beste Umfeld, um Kinder großzuziehen. Dort gebe es im allgemeinen gute öffentliche Schulen; die Einwohnerschaft bekomme durch die kulturellen Aktivitäten und Sportveranstaltungen auf dem Campus neue Impulse. Außerdem könne Marion ihr Studium fortsetzen. Und was das gesellschaftliche Leben betreffe, hatte Ted gemeint, sei man im Kreis der Lehrerfamilien gut aufgehoben. Anfangs war Marion nicht klar gewesen, wie viele junge Mütter es unter den Lehrerfrauen gab.
Ted, der allem aus dem Weg ging, was nach einem regulären College-Job aussah – für den ihm auch die Voraussetzungen fehlten –, hielt trotzdem jedes Semester eine Vorlesung über die Kunst des Schreibens und Zeichnens für Kinder; häufig wurden diese Veranstaltungen von den Fachbereichen Englisch und Bildende Kunst gemeinsam getragen. Ted behauptete stets sehr bereitwillig, Bücher für Kinder zu machen sei, seiner bescheidenen Meinung nach, keine Kunst; er spreche lieber von einem Handwerk.
Doch Teds eigentliches »Handwerk« bestand darin, wie Marion feststellte, systematisch die hübschesten und unglücklichsten jungen Mütter unter den Lehrergattinnen ausfindig zu machen und zu verführen; gelegentlich fiel ihm auch eine Studentin zum Opfer, aber die jungen Mütter waren anfälliger für seine Avancen.
Es ist nichts Ungewöhnliches, daß Liebesaffären ein bitteres Ende nehmen, und da die Ehen dieser unglücklichen Lehrerfrauen bereits brüchig waren, brauchte man sich nicht zu wundern, daß Teds amouröse Abenteuer bei vielen
Weitere Kostenlose Bücher