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Witwe für ein Jahr (German Edition)

Witwe für ein Jahr (German Edition)

Titel: Witwe für ein Jahr (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Exeter-Jahrbüchern sehr genau an. »Ja, ein bißchen«, antwortete sie. »Wieso? Wer ist das?«
    »Er möchte einen Ferienjob«, erklärte Ted.
    »Bei uns?«
    »Na ja, bei mir«, sagte Ted. »Er möchte Schriftsteller werden.«
    »Aber was hätte er denn zu tun?« wollte Marion wissen.
    »Es geht ihm vermutlich um die Erfahrung«, erläuterte Ted. »Ich will damit sagen, wenn er meint, er möchte Schriftsteller werden, sollte er mitbekommen, wie ein Schriftsteller arbeitet.«
    Marion, die schon immer Ambitionen gehabt hatte, selbst zu schreiben, wußte, daß ihr Mann nicht sehr viel arbeitete. »Aber was genau hätte er denn zu tun?« fragte sie noch einmal.
    »Na ja …« Ted hatte die Angewohnheit, seine Sätze und Gedanken unvollendet in der Luft hängenzulassen. Das war ein ebenso beabsichtigter wie unbewußter Teil seines vagen Naturells.
    Als er Minty O’Hare zurückrief, um seinem Sohn einen Job anzubieten, wollte er als erstes wissen, ob Eddie seinen Führerschein hatte. Ted war zum zweitenmal wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt worden und den ganzen Sommer über ohne Führerschein. Er hatte gehofft, die Sommermonate könnten sich als gute Gelegenheit erweisen, um eine sogenannte Trennung auf Probe in die Wege zu leiten. Doch wenn er ein Haus in der Nähe mieten und sich das eigene Haus (und Ruth) weiterhin mit Marion teilen wollte, brauchte er jemanden, der ihn chauffierte.
    »Natürlich hat er den Führerschein!« sagte Minty. Damit war das Schicksal des Jungen besiegelt.
    Und so blieb Marions Frage, was genau Eddie O’Hare denn zu tun haben würde, in der Form stehen, in der Ted Cole vieles stehenließ – offen und unbeantwortet. Und Marion ließ er mit dem aufgeschlagenen Exeter-Jahrbuch im Schoß sitzen; auch das kam häufig vor. Er konnte nicht umhin zu bemerken, daß Marion das Foto von Eddie O’Hare in Sportkleidung offenbar äußerst fesselnd fand. Mit dem langen, rosa lackierten Nagel ihres Zeigefingers fuhr sie die Konturen von Eddies nackten Schultern nach; eine unbewußte, aber sehr konzentrierte Geste. Ted fragte sich unweigerlich, ob ihm nicht stärker bewußt war als Marion, daß sie sich zwanghaft mit Jungen beschäftigte, die Thomas oder Timothy ähnlich sahen. Immerhin hatte sie noch mit keinem von ihnen geschlafen.
    Eddie sollte der einzige sein, mit dem sie tatsächlich schlafen würde.
    Ein Geräusch, wie wenn einer versucht, kein Geräusch zu machen

    Eddie O’Hare schenkte den vielen Gesprächen in Exeter-Kreisen, in denen es darum ging, wie die Coles mit dem tragischen Verlust ihrer Söhne »zurechtkamen«, wenig Beachtung; noch fünf Jahre nach dem schrecklichen Ereignis wurde dieses Thema bei den Dinnerpartys, die Minty O’Hare und seine klatschsüchtige Frau für das Lehrerkollegium gaben, ausführlich erörtert. Eddies Mutter hieß Dorothy, doch alle – mit Ausnahme seines Vaters, der Spitznamen bewußt vermied – nannten sie »Dot«.
    Eddie war kein Klatschmaul. Er war jedoch ein ordentlicher Schüler; auf seinen Ferienjob als Schriftstellerassistent bereitete er sich in einer Form vor, die ihm wichtiger und sinnvoller erschien, als sich die Presseberichte über den tragischen Unfall einzuprägen.
    Auch wenn Eddie übersehen hatte, daß das Ehepaar Cole noch ein Kind bekommen hatte – seinen Eltern war es nicht entgangen: Daß Ted Cole ein Absolvent der Academy (Jahrgang 1931) war und seine Söhne bis zu ihrem Tod diese Schule besucht hatten, reichte aus, um sämtlichen Mitgliedern der Familie Cole für immer Exeter-Verbindungen zu verschaffen. Hinzu kam, daß Ted Cole ein berühmter Exonianer war; im Gegensatz zu Eddie ließen sich Minty und Dot O’Hare von Berühmtheit ungeheuer beeindrucken.
    Daß Ted Cole zu den bekanntesten Kinderbuchautoren Nordamerikas zählte, hatte zur Folge, daß sich die Medien ganz besonders für die Tragödie interessierten. Wie kommt ein bekannter Kinderbuchautor und -illustrator mit dem Tod seiner eigenen Kinder zurecht? Und natürlich zieht eine Berichterstattung mit derart persönlichem Hintergrund immer Klatsch nach sich. Im Kreis der Exeter-Lehrer und ihrer Familien war Eddie O’Hare vermutlich der einzige, der diesem Klatsch nicht viel Beachtung schenkte. Und er war mit Sicherheit der einzige, der alles gelesen hatte, was von Ted Cole bisher erschienen war.
    Die meisten jungen Leute aus Eddies Generation – und einer halben Generation vor und nach ihm – hatten Die Maus, die in der Wand krabbelt gelesen oder (vermutlich eher)

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